Im Alentejo findet seit Jahren das "Balloon International Festival" statt.

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Kurz vor Weihnachten, gegen Mitternacht, läutet mein Handy. Es ist Mr. C., der Lebensgefährte meiner Mutter. Sie stirbt einen schnellen und leisen Tod in Portugal. Am nächsten Morgen sitze ich in einem Flugzeug. Wien, Mallorca, Albufeira. Mutter ist dort in einem Kühlfach.

Die Ordnung der Dinge

Damals bin ich sehr böse auf meine Mama. Eines Morgens räumt sie mein Zimmer auf. Weil ich es drei Monate lang nicht aufräume. Auch mein letztes Stück Haschisch, ein "Stangerl" um 200 Schilling aus dem Camera Club, ist aufgeräumt. Ich finde es im Mistkübel im Hof wieder. Ich sage nichts, weil es nichts zu sagen gibt.

Ich bin oft böse auf meine Mutter. Meistens weil sie weich und ängstlich und nachgiebig ist. Und nicht weil sie mein Dope in den Müll wirft.

Sternenstaub

Die Asche eines Menschen ist wunderschön. Bei der hohen Temperatur entsteht wohl aus den Mineralien und der Lebenschemie im Körper bunte Asche. Da sind kleine Körnchen, die in der Farbe von Kupfer leuchten. Irgendetwas erzeugt die Farben Lila, Gelb, Sandgelb und Eierschalenweiß. Alle diese Körner glitzern wie eine Galaxis. Dazwischen sind kleine Knochenfragmente, schneeweis und matt. Und in allen Varianten der Farbe Grau, Asche, die sich anfühlt wie Sand.

Das Herz meiner Mutter bricht wegen eines Streites in der Familie, der die letzten sechs Jahre unser aller Leben mitbestimmt. In der Sterbeurkunde wird das massiver Herzinfarkt genannt. Aber es ist nur ein gebrochenes Herz. Der Arzt sagt, sie sei wahrscheinlich tot gewesen, bevor sie noch auf dem Boden des Badezimmers aufgeschlagen ist. Zumindest bewusstlos. Auf jeden Fall aber hoffnungslos.

Asche zu Asche

Das nächste verfügbare Krematorium ist im Alentejo. Als ich Jahre zuvor Saramagos Buch über den Alentejo lese, will ich diese Landschaft ein Mal selbst sehen. Jetzt bin ich hier. Ich sehe den Leichenwagen, der unseren kleinen Konvoi anführt. Mr. C. fährt zwischen Hügeln aus roter Erde, Steinmauern, Olivenhainen und einem tiefblauen Himmel. Wir sind seit dem Sonnenaufgang auf dieser traurigen Fahrt.

Im Krematorium ist das Letzte, was ich von meiner Mutter sehe, ein grauer Haarschopf. Während Mr. C. "El Condor Pasa" von einem Pod abspielt, gehe ich hinaus, unter den blauen Himmel. Bald ist der Rauch aus dem Kamin des Krematoriums eine kleine, weiße Wolke über dem Alentejo.

Am nächsten Tag beginnt das Warten auf den Rückflug nach Wien. Wir grillen Steaks und trinken Whiskey. Felix "der Liguster" ruft an. Er weiß noch nicht, was passiert ist. Und fragt wie immer, was ich heute koche. Ich sage: "Heute grille ich ein Steak. Gestern habe ich die Mama gegrillt ..." Wir trinken noch eine Woche lang Whiskey. Dann, in der Silvesternacht, landen wir im eiskalten Wien.

Tante hat den Durchblick

Schon zwei Tage später fliege ich nach Beograd. Da lebt meine Tante. Sie ist Partei im Streit, der die Familie schon so lange plagt. Ich gehe durch die Wohnung, in der ich einst meine halbe Kindheit verbringe. Hier ist das Schlafzimmer, in dem mir meine Mutter die Märchen von Rübezahl vorliest.

Meine Tante erzählt mir, dass ihr manchmal abends ein Mann und ein Kind, beide in grünem Anzug, neben dem Fernseher erscheinen. Wenn sie die Augen kurz schließt, sind die beiden wieder verschwunden. Am selben Nachmittag sitze ich in einem Flugzeug. Nach Berlin. Weil es keinen Direktflug von Beograd nach Wien gibt. Ich frage mich, ob meine arme, alte, verbitterte Tante heute Abend wieder Besuch von Mr. Green und seinem Kind hat. Zwanzig Stunden später lande ich in Wien.

Das Glück ist ein Strand

Auf diesen Fotos lacht Mutter. Sie ist auf einem Sandstrand irgendwo an der Algarve in Portugal glücklich. Als sie lebt, will Mutter hier tot sein. Es gibt noch viele Fotos, aber nur selten lacht sie.

Der Strand, wo Mutters kleines, kurzes Glück stattfindet, ist von steilen Felsen aus Sandstein begrenzt. Der Himmel über meiner lachenden Mutter ist groß und blau. Im Sonnenschein wirft ihre Nase einen Schatten über das halbe Gesicht. Die große Nase hat sie von ihrem Vater, meinem Opa Djuro, dem alten Partisan. Die Ohren auch. Von ihrer Mutter hat sie nur Misshandlungen aus der Kindheit.

Ich ordne die Fotos nicht. Ich leere sie aus drei Schubladen in Plastiksäcke. Irgendwann ordne ich sie. Aber nicht jetzt. An den Wänden der Wohnung hängen fast hundert Ölgemälde. Mutter malt fast nur Bäume an kleinen Seen oder Waldlichtungen. Auf ihren Bildern ist es oft Herbst oder Winter. Ein Tagebuch ist auch da. Meine Freundin liest eine Seite, irgendwo aus der Mitte. Dann sagt sie, ich solle das Tagebuch Mr. C. geben. Ich nicke. (Bogumil Balkansky, 5. Juli 2015, daStandard.at)