Wien – Ein zentrales Projekt der Regierung, die große Bildungsreform, dürfte platzen. Am Mittwoch haben zwei Landeshauptleute, Burgenlands Hans Niessl (SPÖ) und Niederösterreichs Erwin Pröll (ÖVP), die Reformkommission der Regierung verlassen, berichtete der "Kurier". Seitdem sind die Fronten verhärtet. Seine beiden Kollegen seien nicht ausgeschieden, weil sie gegen eine Reform seien, sondern weil sie nicht daran glauben, dass eine solche unter Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) möglich sei, meinte der neue Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, Josef Pühringer (ÖVP), am Donnerstag.

Pröll hatte dem "Kurier" zuvor gesagt: "Es gibt kein Indiz für ernsthafte Bemühungen, diese Reform wie geplant durchzuführen". Der Prozess in den Arbeitsgruppen, die die Grundlage für die Bildungsreform erarbeiten sollten, wandle sich ins Gegenteil dessen, was ursprünglich vereinbart worden sei. Es gebe einen Rückschritt "hin zu einer totalen Zentralverwaltung" im Schulbereich statt der versprochenen Autonomie. "Eine Einigung auf eine echte Reform ist so nicht mehr absehbar. Alles deutet darauf hin, dass die Reform zu einer reinen Kosmetik verkommt. Dafür bin ich nicht zu haben", so Pröll.

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Lassen Bildungsreform platzen: die Landeshauptmänner Hans Niessl und Erwin Pröll.
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Von Vorschlägen weit entfernt

Niessl – als SPÖ-Experte für den Bildungsbereich in der Reformgruppe – "kann inhaltlich nicht mehr mit". Die Grundlage der vereinbarten Reform seien die Beschlüsse der Landeshauptleutekonferenz von Frauenkirchen gewesen seien – und "von diesen Reformvorschlägen haben wir uns in den vergangenen Wochen immer weiter entfernt".

Seinen Platz in der Reformkommission wird der Wiener Bürgermeister Michael Häupl einnehmen. Das gaben Heinisch-Hosek und Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (alle SPÖ) am Donnerstag bekannt. Wer auf ÖVP-Seite nachrückt, sei noch nicht klar.

Heinisch-Hosek: Schulautonomie steht außer Streit

Bildungsministerin Heinisch-Hosek meinte, das Ziel, den Schulstandorten mehr Autonomie zu verleihen, stehe innerhalb der Regierung "außer Streit". Der Stein des Anstoßes für den Ausstieg der beiden Landeshauptleute aus der Reformgruppe, die Frage der künftigen Zuständigkeit für die Verwaltung der Lehrer, interessiere Schüler und Eltern nicht. Angesichts der wichtigen Fragen wie etwa der Umsetzung von ganztägiger Betreuung an den Schulen oder neuen Möglichkeiten zur Personalauswahl an den Schulstandorten stehe die Frage der "Verländerung" für sie am Ende des Prozesses, "in dem wir mitten drinnen sind".

In vielen Punkten hätten die mit der Bewertung der Umsetzung des von Landesschulratspräsidenten sowie Spitzenbeamten aus dem Bundes- und Landesbereich und einem Vertreter der Industriellenvereinigung erstellten Reformpapier "Freiraum für Österreichs Schulen" befassten drei Expertengruppen schon Einigkeit erzielt. Daher zeigte sich die Ministerin auch über den Zeitpunkt des Ausstiegs Niessls und Prölls verwundert.

Ostermayer: Zuständigkeit ist nachgeordnete Frage

Ostermayer gab zu bedenken, dass es für Veränderungen in der Schulverwaltungsstruktur eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat brauche. Daher gelte es, im November Verhandlungsergebnisse zu präsentieren, die auch von Oppositionsparteien unterstützt werden können.

Niessl und Pröll hatten immer wieder darauf hingewiesen, eine Verschiebung dieser Agenden in Richtung Bundesländer zu präferieren. Mit Blick auf die gesamte Reform sei das allerdings eine nachgeordnete Frage – wenn auch eine mit gewissem "Matchcharakter", wie es Ostermayer ausdrückte. Der angestrebte Termin für die Vorlage der Verhandlungsergebnisse im Ministerrat am 17. November wird aus Ostermayers Sicht halten. Die Frage eines Abbruchs der Reformverhandlungen habe sich nicht gestellt.

Schon am Mittwoch hatte Heinisch-Hosek bekräftigt, nicht von ihrem Ziel, die Bildungsreform bis Ende des Jahres zu fixieren, abzuweichen. Selbst "angesichts der neuen Entwicklungen" stellte sie "ganz klar fest, dass die Bildungsreform auch weiterhin auf Kurs ist". Bis Ende des Jahres werde es noch zahlreiche Gespräche und Diskussionen geben, so Heinisch-Hosek. Länder, Schulpartner, Gewerkschaft und andere mehr würden in den Reformprozess eingebunden.

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Josef Pühringer (ÖVP) unterstützt den Ausstieg seines Partei- und Landeshauptmannkollegen Erwin Pröll aus den Verhandlungen um die Bildungsreform.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Pühringer: Fehlendes Vertrauen in Heinisch-Hosek

Oberösterreichs Landeshauptmann Pühringer äußerte am Donnerstag in seiner Pressekonferenz anlässlich der Vorsitzübernahme bei der Landeshauptleutekonferenz Unterstützung für den Schritt von Pröll und Niessl. Seine beiden Kollegen seien nicht ausgeschieden, weil sie gegen eine Reform seien, sondern weil sie nicht daran glauben würden, dass eine solche unter Heinisch-Hosek möglich sei.

"Die andere Seite will eine komplette Zentralisierung", dafür stehe man ebenso wenig zur Verfügung wie für "rein kosmetische Änderungen". Stattdessen bekräftigte Pühringer den Wunsch der Länder, die komplette Schulverwaltung in deren Hände zu geben. Dass die Länder diese Aufgabe effizienter erledigen würden, als es im Status quo der Fall sei, beweise man in der Pflichtschulverwaltung.

Er selber wolle jedenfalls nicht als Prölls Nachfolger in die Kommission aufrücken, meinte Pühringer mit Verweis auf die bevorstehende Landtagswahl in seinem Bundesland und den Vorsitz bei den Landeshauptleuten. "Es gibt überhaupt keinen Arbeitsmangel bei mir."

Haslauer: Prozess läuft in die falsche Richtung

Leise Kritik kam auch von Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer, dem zweiten schwarzen Ländervertreter in der Arbeitsgruppe. Er will zwar nicht austreten, der Prozess laufe momentan aber in die falsche Richtung, sagte er am Donnerstag. Er habe die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, dass es zu einem Ergebnis kommt, betonte Haslauer. Er werde sich auf jeden Fall um ein Vorankommen bemühen.

"Bedauerlich" findet der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) den Abschied von Pröll und Niessl aus der Arbeitsgruppe. "Allen Beteiligten war und sollte schon allein aus der politisch wenig ruhmreichen Bildungsvergangenheit bewusst sein, dass diese dringend notwendige Reform den Einsatz aller verlangt", sagte Kaiser am Donnerstag. Ein Aufgeben komme nicht infrage.

Zwei Drittel der gemeinsamen Ziele stünden außer Streit, betonte Kaiser – ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe – in einer Aussendung. Offen sei aber, "wie eine günstige und effiziente Verwaltung ausgestaltet sein soll". Kaiser möchte Schulautonomie ab einer gewissen Schul-Grundgröße.

Arge Lehrer nicht beeindruckt

Der Chef der Arge Lehrer in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Paul Kimberger, zeigte sich angesichts des Schrittes von Pröll und Niessl zwar "überrascht", aber "nicht besonders beeindruckt". Es gehe um inhaltliche Fragen, etwa wie Schulen autonomer arbeiten können, und bessere Rahmenbedingungen.

Wenn etwa Niessl fordere, den seit 2008 nicht mehr existierenden Versetzungsschutz für Lehrer wegzuverhandeln, "beweist das eigentlich, dass er in dieser Bildungsreformgruppe fehl am Platz war", so Kimberger. "Es gibt wesentliche Themen, bei denen wir etwas weiterbringen müssen, und ich denke, das wird uns auch ohne diese beiden Herren gelingen."

Neos-Chef Matthias Strolz kritisierte Pröll und Niessl in einer Aussendung scharf und plädierte für Neuwahlen: "Es ist beschämend: Bildungsreform ist für die Landesfürsten offensichtlich ausschließlich Machtpolitik."

"Inhaltlich kein Verlust" ist das Ausscheiden Prölls und Niessls dagegen für den grünen Bildungssprecher Harald Walser. "Beide haben ausschließlich ihre persönliche Macht im Auge und bedienen ihre eigene Selbstherrlichkeit", erklärte Walser in einer Aussendung. Es gehe den beiden "in erster Linie um die Verländerung des Bildungswesens und damit um einen Zugewinn an Macht und nicht um die dringend notwendige Verbesserung unseres maroden Schulsystems". (APA, red, 2.7.2015)