Es sei "eine Katastrophe, was sich in den Familien abspielt", sagte der Psychotherapeut Klaus Gstirner vom Verein "Sicher leben in Graz" am Dienstag bei einer Schulung der Grazer Exekutive zum Thema sexualisierte Gewalt. Und die Psychiaterin Adelheid Kastner fordert "Zivilcourage", wenn man Gewalt in Familien wahrnehme.

Dass die Schulung einen Tag nach dem erschütternden ORF-Interview mit der Frau des mutmaßlichen Amokfahrers stattfand, war Zufall. Aber die Details des Martyriums der Frau lassen einen nicht nur über mangelnde Zivilcourage nachdenken. Schon im Vorjahr war die Polizei mehrmals mit dem Täter befasst, weil dieser in seinem Garten herumschoss. Die Waffe wurde ihm abgenommen, aber niemand schickte das Jugendamt zu der Familie, in der Gewalt an der Tagesordnung war.

Die zuständige Bezirkshauptmannschaft sagt: Es war eine waffenrechtliche Angelegenheit, kein Fall für das Jugendamt. Solche Erklärungen kennt man. Rechtlich mögen sie einleuchten, aber sie sind nicht befriedigend. Behörden müssen bei häuslicher Gewalt hellhöriger werden. Prävention muss früher ansetzen. Und vielleicht müssen auch Strafen in diesem Bereich nochmals nachgeschärft werden, wie das Stadtchef Siegfried Nagl – ganz ohne Law-and-Order-Gehabe – anregt. Denn es bleibt schwer nachvollziehbar, dass oft ein Ladendieb eher eingesperrt wird als ein Mann, der seine Familie misshandelt. (Colette M. Schmidt, 30.6.2015)