Das Wort von den "Schlafwandlern" geht jetzt um in der Debatte um die Griechenland-Krise. Es ist geborgt von dem sehr klugen und erfolgreichen Buch des Historikers Christopher Clark über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 101 Jahren. Die europäischen Mächte schlafwandelten damals in einen fürchterlichen Krieg, den sie eigentlich nicht oder nicht so wollten. Auslöser war ein kleiner Staat am Rande Europas, in dessen Führung irrational-hypernationalistische Kräfte die Oberhand bekommen hatten. "Patrioten", die davon fantasierten, aus einem armen Balkanstaat heraus die europäische Ordnung sprengen zu können. Damit konnten die traditionellen europäischen Regierungen nicht umgehen.

Heute muss man den Gedanken prüfen, ob nicht in einem kleinen, armen Staat am Südostrand Europas Kräfte an der Regierung sind, die ein ungeklärtes Verhältnis zur Idee Europa haben. Wollen die Linken wie die Rechten in der griechischen Koalitionsregierung überhaupt die Ordnung der EU? Die Frage stellt sich, weil ihr Verhalten immer mehr dem von politischen Selbstmordattentätern gleicht.

Man kann meinen, die europäischen Führungspersonen seien in die jetzige Situation geschlafwandelt. Jedenfalls haben sie nicht mit dem Irrationalismus der Regierung Tsipras gerechnet. Aber entscheidend ist, ob das griechische Volk am nächsten Sonntag wach geworden ist. (Hans Rauscher, 29.6.2015)