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Massenbetrieb an den Unis öffnet Tür und Tor für Betrug. Studenten gehörten zu wissenschaftlichen Arbeiten genauer befragt, raten jene, die von den Defiziten des Bildungssystems profitieren.

Foto: apa/Gero Breloer

STANDARD: Sie sind Doktor der Philosophie. Haben Sie Ihre Dissertation über Sartre selbst verfasst?

Nemet: In der Tat, ja.

STANDARD: Wäre dem nicht so, würden Sie es mir aber nicht verraten?

Nemet: Jeder, der einen Ghostwriter zu Hilfe nimmt, würde das keinem Dritten sagen. Aber Sie können davon ausgehen, dass ich sie selber geschrieben habe. Das Thema hat mich interessiert.

STANDARD: Wie viele akademische Titel entstammen mittlerweile der Feder Ihrer Lohnschreiber?

Nemet: Wir bewältigen jährlich gut tausend Projekte – zehn Prozent der wissenschaftlichen Arbeiten haben mehr als 200 Seiten.

STANDARD: Wie viele Ihrer Kunden kommen aus Österreich?

Nemet: Etwa 15 Prozent der Herrschaften. In Wien haben wir an die hundert Mandanten, Männer wie Frauen gleichmäßig durchmischt. Ab 20 Jahren aufwärts. Wir hatten auch Kunden jenseits der 60, die sich mit dem Uni-Abschluss einen Lebenstraum erfüllen wollten.

STANDARD: Ihre Klientel erschleicht sich mithilfe Ihrer Agentur akademische Arbeiten. Das ist blanker Betrug.

Nemet: Die Leute kaufen eine wissenschaftliche Leistung. Was sie damit tun und lassen, können wir nicht beeinflussen. Wir setzen aufs Prinzip Eigenverantwortung. Und wenn einer meint, er muss unser Produkt für etwas anderes einsetzen, muss er selbst damit leben. Wir selbst sind juristisch raus.

STANDARD: Flog nie einer auf und wurde rechtlich belangt?

Nemet: Nein. Wie auch? Das setzt voraus, dass jeder Professor an der Uni seine Studenten kennt. Das ist nicht der Fall. Es ist ein Massenbetrieb: Je mehr Masse, desto weniger Klasse. In Österreich ist es noch leichter als in Deutschland: Selbst wenn es auffliegt, kommt es nicht zur Exmatrikulation. Es gilt als ein gescheiterter Prüfungsversuch, man kann erneut antreten.

STANDARD: In Deutschland gab es sehr wohl Überlegungen, Wissenschaftsbetrug schärfer zu ahnden. Könnte daraus noch was werden?

Nemet: Nein. Es gibt ja genug Instrumente, um das zu ahnden. Und ist die Hilfe der Eltern auch schon strafbar? Was macht man mit Professoren, die mehrere Assistenten haben, die für sie arbeiten? Es ist sehr schwer, das abzugrenzen.

STANDARD: Aber Sie tanzen Unis auf der Nase herum. Ist das auf Dauer wirklich juristisch unantastbar?

Nemet: Ich denke schon. Das Problem sind ja nicht wir, es liegt bei der Forschung und Lehre. Warum kommt jemand und braucht Hilfe?

STANDARD: Sagen Sie es mir.

Nemet: Aufgrund der Straffung der Lehrpläne. Aufgrund der Akademisierung der Lebenswelt. Jeder muss studieren, um einen Job zu bekommen. Dann die Vielzahl an Studenten. Und wir haben in Österreich viele Kunden im mittleren Lebensabschnitt. Sie sind in ihrer Firma fest verortet, müssen aber auf dem zweiten Bildungsweg einen Magister oder Master machen, um in ihrer Karriere voranzukommen. Eigentlich absurd.

STANDARD: Erschummelte Titel führen Uni-Abschlüsse letztlich ad absurdum.

Nemet: Es gibt auch noch die vielen ehrlichen Studenten.

STANDARD: Wie viele sind denn unehrlich?

Nemet: Einer von 10.000 greift auf unlautere Hilfe zurück. In Summe tun dies in Deutschland im Jahr vielleicht rund 10.000. Aber die Leute sind nicht einfach faul oder haben zu viel Geld. Sie haben Probleme: Burnout, Leistungsdruck.

STANDARD: Eine Seite kostet in der Regel bis zu 80 Euro. Für kleine Geldbörsen ist das nichts.

Nemet: Nein. Wir bewegen uns im Luxussegment. Man kann ja seine Arbeiten auch selbst schreiben.

STANDARD: Sie setzen heuer mehr als zwei Millionen Euro um. Ist Ihr Geschäft ein krisensicheres?

Nemet: Ein stabiles. Sitzt den Leuten das Geld fester in der Tasche, werden unsere Dienste aber weniger in Anspruch genommen.

STANDARD: Was müsste passieren, damit Sie sich Ihr Geld doch auf andere Weise verdienen?

Nemet: Dazu müsste das Bildungssystem funktionieren. Damit wäre Ghostwriting eine brotlose Kunst, das wäre das Aus für das Geschäft.

STANDARD: Warum haben Sie keine moralischen Bedenken?

Nemet: Geschäft ist Geschäft. Kunden bestellen bei uns eine Leistung, ein Produkt. Was sie damit tun, entscheiden sie selbst.

STANDARD: Anders gefragt: Würden Sie Ihrem Kind erlauben, sich an der Uni eines Ghostwriters zu bedienen?

Nemet: Hätte ich Kinder, würde ich hier Grenzen setzen. Wobei: Ist das Kind so gescheit, rechtzeitig Hilfe zu suchen, muss man das wohl zur Kenntnis nehmen.

STANDARD: Wenden sich mitunter auch Professoren an Sie auf der Suche nach schwarzen Schafen?

Nemet: Das gab es früher immer wieder. Aber wir geben die Daten der Kunden nicht raus. Wer klug ist, wird sich uns nicht mit richtigem Namen vorstellen. Er heißt dann Müller, Meier oder Schulze.

STANDARD: Was, wenn Ihre Lohnschreiber abschreiben?

Nemet: Wir prüfen das, verwenden die gleiche Software wie Unis. Wir kaufen Autoren geistige Eigenleistung ab. Warum soll ich jemanden für ein Plagiat bezahlen?

STANDARD: Was raten Sie Unis, um Schummelei Einhalt zu gebieten?

Nemet: Ganz einfach: ein Kolloquium dahinterschalten und die Leute zu ihrer wissenschaftlichen Arbeit befragen. Da merkt man dann schnell, ob das aus der eigenen Feder stammt. Aber wir wissen, dass das nicht geht. In einem Seminar sitzen oft 150 Studenten, mit einer Lehrkraft vorne. (Verena Kainrath, 29.6.2015)