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Tsipras am Freitag.

Foto: APA/EPA/SIMELA PANTZARTZI

Die Rede von Tsipras zur Ankündigung der Volksabstimmung. Hier der Wortlaut in deutscher Sprache – und hier in englischer Sprache.

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Vor dieser Bank in Athen bildete sich am Samstag eine Schlange. Eigentlich hätte sie um 10.30 Uhr öffnen sollen, die Bank blieb aber geschlossen

Foto: reuters/YANNIS BEHRAKIS

Statt Top oder Flop hat Griechenlands Premier Alexis Tsipras eine dritte Option im Schuldendrama seines Landes gefunden: Eine Volksabstimmung soll die Entscheidung bringen, und nicht die Regierung, die beim Treffen der Eurofinanzminister in Brüssel am heutigen Samstag entweder Ja oder Nein zum letzten Angebot der Gläubiger sagen sollte.

Vorankündigung im Mai

Ganz überraschend ist die neue Wendung nicht. Tsipras hatte im vergangenen Mai, nach den ersten 100 Tagen im Amt, in einem nächtlichen Fernsehinterview diese Möglichkeit genannt. Sollte seine Regierung mit einem Abkommen der Kreditgeber konfrontiert werden, das über das Mandat hinausgehe, das seine Partei bei den Wahlen im Jänner erhalten habe, so werde das griechische Volk entscheiden, kündigte Tsipras im Vormonat an.

Danach wurde es allerdings ruhig um die Referendums-Idee. Ein Rückritt der Regierung und die Bildung einer neuen Koalition mit pro-europäischen Kräften unter Führung von Tsipras und dem überwiegenden Teil seiner Linkspartei Syriza schien das wahrscheinliche Szenario.

Doch die neue Formel der Gläubiger, die Tsipras von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Francois Hollande präsentiert wurde, war für die griechische Regierung nicht annehmbar: Auszahlung der letzten Kreditrate nun nicht auf einmal, sondern in vier Raten bis November und immer abhängig von einer Überprüfung der bis dahin jeweils umzusetzenden Sparmaßnahmen.

Schlange stehen vorm Bankomaten

Indessen stehen vor den Bankomaten in Athen die Griechen heute morgen Schlange. Fünf bis zehn Leute sind es meist, die auf dem Weg zum Bäcker, den Hund an der Leine, nun wenige Hundert Euro abheben. "Ich muss ja irgendwie einkaufen können. Das wird jetzt verrückt", sagt eine Mutter mit einem Baby im Kinderwagen. "Die haben den Verstand verloren", murrt der Nachbar in der Schlange. Die Entscheidung des griechischen Premiers, das Finanzabkommen mit den Gläubigern heute nicht anzunehmen, sondern eine Volksabstimmung am nächsten Wochenende einzuberufen, beunruhigt viele, vor allem die älteren Griechen. Die Jüngeren stehen aber ganz hinter dem Regierungschef, berichten zumindest Syriza-Anhänger.

Entscheidend wird nun sein, ob die EZB in Frankfurt heute weiter Unterstützung für die griechischen Banken signalisiert.

Parlament entscheidet am Abend

Am Nachmittag berät das griechische Parlament über die Pläne zur Volksabstimmung, eine Abstimmung wird für 19.00 Uhr Ortszeit (18.00 Uhr MESZ) erwartet. Die sozialistische Pasok hat bereits ihr Nein angekündigt. Staatsminister Alekos Flambouraris versicherte derweil, ein Euro-Austritt sei der Regierung "nicht einmal in Gedanken" gekommen. Wenn die Kreditgeber ihr Angebot zurückzögen, müssten sie es durch ein neues ersetzen, behauptete Flambouraris. Gesundheitsminister Panayiotis Kouroumblis erklärte, das Referendum sei Teil der Verhandlungen mit den Gläubigern.

Die Parlamentssitzung sieht die griechische Verfassung vor. Artikel 44 regelt die Kompetenzen des Staatspräsidenten. Darunter fällt auch die Ausrufung einer Volksabstimmung – entweder in "Angelegenheiten von nationaler Entscheidung" oder in Bezug auf bestimmte Gesetze, die "wichtige soziale Angelegenheiten" regeln. Im vorliegenden Fall wird es um die "nationale Entscheidung" gehen: Annahme oder Ablehnung des neuen Sparabkommens. Oder im Klartext: Ja oder Nein zum Euro.

Die Volksabstimmung muss zunächst vom Kabinett beschlossen werden – das geschah in der Nacht zu Samstag – und anschließend im Parlament beraten und abgestimmt werden. Zur Annahme ist die absolute Mehrheit nötig. Die erreichen Syriza und ihr rechter Koalitionspartner Anel (Unabhängige Griechen) leicht. Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos wird dann das Referendum ausrufen. Der Politiker der konservativen Nea Dimokratia hat in den vergangenen Tage bereits erklärt, er werde kein Präsident eines Griechenlands sein, das "außerhalb Europas" stehe. Den Termin für die Volksabstimmung hat Tsipras bereits festgelegt: Sonntag, 5. Juli. Ob sich die Abstimmung tatsächlich innerhalb von nur sieben Tagen arrangieren lässt, ist nicht so klar.

Bisher vier Referenden

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 wurden in Griechenland bisher vier Referenden abgehalten: Dabei ging es immer um die Verfassung und das politische System Griechenlands. 1946 ging es um die Beibehaltung der Monarchie (68 Prozent Ja-Stimmen), 1968 um die Verfassung der Junta-Generäle (92 Prozent Ja), 1973 um die Abschaffung der Monarchie unter der Junta (78 Prozent Ja), 1974 – nach dem Sturz der Junta – um die Beibehaltung der Republik ohne König (62 Prozent Ja).

Der fünfte Anlauf zu einem Referendum ging allerdings daneben: Wie nun Alexis Tsipras versuchte auch einer seiner Vorgänger, der sozialistische Regierungschef George Papandreou im Herbst 2011 den politischen Befreiungsschlag aus dem Schuldendrama mit einer Volksabstimmung. Papandreou kündigte die Idee an, als er am 31. Oktober 2011 von einem EU-Gipfel nach Athen zurückkehrte. Dort hatte er einer Schuldenvereinbarung zugestimmt. Mit seiner plötzlichen Kehrtwende stieß er damals vor allem Angela Merkel und den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vor dem Kopf. Zu Hause kam Papandreou in die Kritik. Nur wenige Tage später, am 3. November, kündigte er den Verzicht auf das Referendum an. Papandreou konnte sich nicht mehr im Amt halten, eine Mehrparteienkoalition unter Führung des Technokraten Lucas Papademos trat an.

(Markus Bernath aus Athen, 27.6.2015)