Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Porträt Kaiser Josephs II. (1741–1790) im Wiener Kunsthistorischen Museum. Er legte die Grundlagen für ein polizeistaatliches System österreichischer Ausprägung.

Foto: picturedesk.com/Imago/anonym

Klemens Fürst Metternich hat ein miserables Image. Dem Staatsmann, der ab 1809 Österreichs Außenminister und später Staatskanzler war, wird die Errichtung des ersten umfassenden Überwachungsstaats, gnadenlose Bespitzelung und Zensur, zugeschrieben. Mit eiserner Hand habe er sich gegen die politischen und sozialen Neuerungen des Liberalismus gewehrt. Kaiser Joseph II. dagegen, der Jahrzehnte davor, nach dem Tod Maria Theresias 1780, allein herrschte und für einen aufgeklärten Absolutismus steht, verbindet man mit einem Zugewinn an Freiheit, mit Reformen in der Justiz und Gesundheitspolitik, mit einem Zurückdrängen von Adel und Klerus.

Wenn man aber nach den Ursprüngen von Österreichs polizeistaatlichen Tendenzen zu jener Zeit sucht, landet man nicht beim "guten" Kaiser Franz I. und seinem schlecht beleumdeten Staatskanzler Metternich, sondern beim Erneuerer Joseph II. Teil seiner Reformen waren umfassende Datenerhebungen, die Zentralisierung des Polizeiwesens und der Aufbau eines Spitzelnetzes. "Ich warne vor einer plakativen Gegenüberstellung von josephinischer Freiheit und Metternich’scher Repression", sagt der auf das 18. und 19. Jahrhundert spezialisierte Historiker Franz Leander Fillafer vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. "Nicht nur, weil in der josephinischen Zeit das staatspolizeiliche System Metternichs seinen eigentlichen Ursprung hat. Sondern auch, weil die Effizienz dieses Systems in der josephinischen und darauffolgenden leopoldinischen Zeit vielleicht ausgeprägter war als zu Metternichs Zeiten."

Dennoch sei es nicht legitim, von einem Überwachungsstaat zu sprechen. "Man kann die Idee des heutigen Staates nicht in das 18. Jahrhundert übertragen", so Fillafer. Die von Joseph II. installierte Verwaltungstechnik wird später zu Metternichs Instrument zur Verfolgung von "Demagogen", Liberalen, Studenten, Handwerkern – ähnlich der gegenwärtigen Vernetzungstechnik, die von NSA & Co missbraucht wird.

Der Beginn des Datensammelns

Trotz des Regulierungswahns der josephinischen Zeit, von der Einführung des wiederverwendbaren Klappsargs bis zum Schnürmiederverbot in Mädchenpensio naten, wurden damals längst nicht alle Lebensbereiche kontrolliert. "Es ist ein Strukturmerkmal des frühmodernen Staats, dass Gesetze nicht umgesetzt wurden."

Unter Joseph II. wurde aber begonnen, strukturiert Daten über Nährstand und moralische Verhältnisse des Volks zu erheben. Das Interesse entsprang einer merkantilen Grundhaltung, erläutert Fillafer: Es ging um die Optimierung von Wertschöpfung. "Man begann, die ökonomische Entfaltung der Bürger in den Vordergrund zu stellen. Dafür musste man über sie Bescheid wissen." Kreiskommissäre bereisten die Territorien und erstellten akribische Aufzeichnungen. Bürgerliche Freiheiten wurden gewährt, es gab erste Ansätze der Sozialfürsorge. Unter Metternich wurde aber eine Gegenrechnung eröffnet: "Man versuchte, die politische Abstinenz des Bürgers durch ökonomische Freiheit zu erkaufen."

Die Überwachung der Bürger war weniger rigide als jene der Beamten. Joseph II. ist für die Einführung der Conduit-Listen bekannt, in denen Verfehlungen, Dienstbeflissenheit, sogar das Erscheinungsbild vermerkt wurden. "Gegenseitige Überwachung wurde zum Prinzip erhoben", sagt der Historiker. Das ergab eine paradoxe Ausgangslage: "Ein Teil der Beamtenschaft sollte jene entstehende bürgerliche Gesellschaft überwachen, deren Hauptträger sie selbst war."

Unter der zentralen Polizeibehörde, die Joseph II. einrichtete, darf man sich keinen modernen Geheimdienst vorstellen. "Sie war klein und von Kompetenzkonflikten geprägt. Die Beamten waren niedrig besoldet und konnten ihren Aufgaben häufig nicht nachkommen", resümiert Fillafer. Man dürfe die Dysfunktionalität der damaligen Strukturen nicht unterschätzen. Der erste Erfolg der Polizeihofstelle war die Aufdeckung einer Verschwörung der österreichischen "Jakobiner" 1794/1795, die mit der Französischen Revolution sympathisierten.

An der Bedeutung der Institution habe sich auch in Metternichs Zeiten kaum etwas geändert, so Fillafer. Es gab keine massive personelle oder budgetäre Aufstockung. Der Zensur konnten die Beamten angesichts des explosionsartigen Anwachsens der Druckschriften zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaum nachkommen.

Spitzel, oft Menschen zweifelhaften Rufs, Wendehälse, verschuldete Adelige wurden losgeschickt, um sich das Vertrauen der Menschen zu erschleichen, sie in den Salons oder Lesekabinetten, wo internationale Presse auflag, auf ihre Gesinnung abzuklopfen. "Da gab es viel Wichtigtuerei", sagt Fillafer, "geschönte, aufgeblähte Berichte, mit denen man seine Nützlichkeit beweisen wollte." Die falschen Verdächtigungen zogen viele Prozesse nach sich.

Bespitzelung liberaler "Demagogen"

Das Ziel der Bespitzelung waren oft unstete, vagante Personen, Studenten, Handwerker, die durchs Land zogen. "Die geistige Mobilität der sogenannten liberalen ,Demagogen‘ wurde offenbar mit der tatsächlichen Mobilität dieser Gruppen identifiziert", so der Historiker. Das Reisegepäck wurde auf indizierte Schriften untersucht, der Briefverkehr bespitzelt, was Prozesse zwischen Postmonopolisten und Behörden nach sich zog. Oft blieben die Über wachungsbestrebungen zahnlose Manöver dürftig ausgestatteter Behörden, letzten Endes so ineffizient, dass sie die Revolution von 1848 nicht kommen sahen. Fillafer glaubt, dass die aktuelle Forschung das Bild Metternichs und seines Überwachungs apparats zurechtrücken wird.

Im Neoabsolutismus der 1850er-Jahre versuchte man, aus den "Fehlern" Metternichs zu lernen. "Das neue Polizeiministerium war mit mehr Budget und umfangreicheren Vollmachten ausgestattet und viel effektiver", sagt der Historiker. Man war bestrebt, revolutionäre Verbindungen zu zerschlagen, die man eher im böhmisch-ungarischen Bereich suchte. "Es wurde viel mehr Geld für Überwachung in Prag, Budapest und Pressburg als in den deutschsprachigen Erbländern ausgegeben." Für Fillafer ist dieses Jahrzehnt vor der Schlacht von Solferino der Höhepunkt der Überwachung in der österreichischen Monarchie. (Alois Pumhösel, 28.6. 2015)