Nicolas Clasen, Autor des Fachbuches "Der digitale Tsunami".

Foto: Thomas Fedra

STANDARD: Internet-Megakonzerne stürzen sich momentan auf den Journalismus.

Clasen: Das ist großes Glück für die Verleger. Gerade bei den technischen Anforderungen und User-Experience können klassische Verlagshäuser nicht die Kompetenzen aufbauen, die Apple und Google bereits haben.

STANDARD: Inwiefern wird sich die Anzeige auf digitalen Endgeräten noch verändern?

Clasen: Wir sind noch am Anfang. Viele Verleger machen immer noch PDF im Digitalen. Das ist – für mich – eine Katastrophe. Und auch wenn man sich die ganzen Onlineangebote ansieht, wie die Zeit.de oder auch den Standard: Wie gehen die mit multimedialen Möglichkeiten um? Eigentlich noch gar nicht. Die Möglichkeiten werden noch nicht ausgeschöpft, weil es auch sehr schwierig ist und, weil man auch viel Erfahrung mit Interfaces braucht. Man muss sich in den Kopf des Nutzers versetzten und überlegen, wie man den Medienbruch überspringen kann. Wie man mit Text, Video und Grafik einen roten Faden im Kopf des Users entstehen lassen kann. Text ist nicht immer das beste Format, aber auch Videos nicht. Wenn man beides aber kombiniert, kann man etwas ganz Neues erschaffen. Das ist allerdings ziemlich schwierig, und hierbei kommt es auf Kleinigkeiten an. Dabei sind die amerikanischen Technologiekonzerne wesentlich besser. Die beste Nachricht ist ja eigentlich, dass die Inhalteproduktion weiterhin bei den Verlagen bleibt.

STANDARD: Apple sucht zurzeit eigene Journalisten. Besteht die Gefahr, dass dieser Bereich irgendwann komplett übernommen wird?

Clasen: Keiner der großen Konzerne fasst bis jetzt die Inhalteproduktion selbst an. Sie beschränken sich auf die Content-Distribution, aber sie sehen auch, dass die Content-Hersteller Schwierigkeiten haben mit den technologischen Anforderungen. Man springt auf den Zug auf. Aber nicht aus altruistischen Motiven. Was man jetzt sieht ist, dass Content eben gerade in den Werbegeschäften einen hohen Stellenwert hat. Den Content, den Facebook, Google und auch Youtube zurzeit zur Verfügung haben, ist nicht gut genug, um die großen – die Brand-Budgets – von der werbetragenden Industrie zu attraktivieren.

STANDARD: Stellt der Eingriff in ein Netzwerk wie Facebook – das von vielen als privater, sozialer Raum im Internet genutzt wird – nicht eine Hemmschwelle für die künftige Nutzung dar?

Clasen: Da gebe ich Ihnen recht, bis jetzt waren die Nachrichten auf Facebook sehr privat. Da hatte auch Werbung wenig zu suchen. Deshalb musste die Werbung sehr klein sein und sich rechts in der Ecke verstecken.

STANDARD: Wie verhält sich die Werbeindustrie hierbei?

Clasen: Facebook merkt, dass sie mit User-generated-Content auf zwei Probleme stoßen. A: Die Werbetreibenden nehmen das nicht als Umfeld ernst. B: Die Nutzer fühlen sich gestört von Werbung im privaten Umfeld. Wenn Facebook sich selbst jetzt zu einem News-Reader umbaut, kann man auch großflächige Anzeigen schalten, weil Kunden das von Print, TV und Web gewohnt sind. Natürlich werden Medienmarken, die schnell und stark vertreten sind, Vorteile haben. Aber Qualität wird sich immer durchsetzen.

STANDARD: Facebook wird die Werbeindustrie also weiterhin verändern?

Clasen: Facebook will in Bezug auf den Umsatz pro Nutzer dort hin, wo Print und TV heute schon sind. Bloß dass die Nutzerzahlen bei TV stagnieren, bei Print sinken und bei Facebook steigen. Wichtigstes Erlösmodell ist dabei Imagewerbung. Das ist die "heilige Kuh", die Facebook, Google und Apple mithilfe der Premiuminhalte jetzt schlachten wollen. Wenn das gut umgesetzt wird, könnte ein Großteil der Print- und TV-Budgets endgültig zu Online rüberschwappen. Dabei zahlt Facebook 70 Prozent der Erlöse an die Inhalteproduzenten. Für Verlage ist Facebook also genauso teuer wie ein hausinterner Vermarkter. Die Plattform hat aber noch Nutzerdaten und eine viel höhere Reichweite. Kommt es tatsächlich zu einer Verschiebung der Werbebudgets, wird der digitale Kuchen groß genug, dass alle davon leben können und hochwertiger Journalismus auch im Netz endlich refinanzierbar wird.

STANDARD: Inwieweit verändert sich das Angebot für Verlage?

Clasen: Wenn Sie sich die Onlineangebote ansehen. Alles ist auf Reichweite ausgerichtet. Print hat immer anders funktioniert: mit geringen Reichweiten und starker Relevanz in der Zielgruppe. Online sind jetzt viele Verlage auf einer reinen Reichweitenstrategie. Das drückt auf die Qualität der Inhalte und versperrt den Weg zu Paid Content. Hier können die Verlage nur verlieren, da sie bei der reinen Reichweite keine Chance haben.

STANDARD: Im Endeffekt werden also alle Verlage gezwungen, Teil des neuen Systems zu werden?

Clasen: Wenn ein Unternehmen bei Google aufscheinen will, muss es sich auch erst dort registrieren. Der Springer-Verlag beispielsweise arbeitet auf der politischen Ebene gegen diesen Skaleneffekte und gegen die Plattformen, weil er weiß, dass er wirtschaftlich keine Chance mehr hat: Springer braucht jetzt kein Social Network mehr starten und auch keine Suchmaschine. Was machen sie? Sie versuchen über Lobbying Gesetze durchzubringen, die diese Plattformen einschränken. Der Vorwurf ist ja immer: Alles ist gegen Google. Aber Springer hat auch eine Agenda. Und das Zweite ist: Wer ist der Erste bei Facebook Instant Articles? Die "Bild Zeitung". Wer hat eine Kooperation mit Google für die Vermarktung von Restplatzinventar? Springer. Sie wissen, dass sie wirtschaftlich nicht mehr gegen diese Konglomerate ankommen – aber sie wissen auch, dass sie von ihnen abhängig sind und, dass sie sich im Wettbewerb mit den andere Verlagen durchsetzen müssen. (Sandra Čapljak, 24.6.2015)