Bevor Sie uns jetzt wegen dieses Titels für esoterische Hippies mit Baumumarmungssehnsüchten halten, kommt hier die brutale Gegenansage: Wir haben auch den Gleichschritt drauf. Nicht bloß marschierend: laufend! Und beigebracht hat es uns – ausgerechnet – ein Kärntner.

Zugegeben: Titel und Vorspann dieser Kolumne sind diesmal ein bisserl platt-spekulativ. Aber wenn die Übung gelingt – und Sie hier reinschauen –, soll es uns recht sein. Schließlich sind wir immer noch ein bisserl stolz darauf, dass DER STANDARD beim Vienna City Marathon gleich vier Staffeln ins Rennen schickte – und alle 16 Läuferinnen und Läufer nicht nur heil, sondern auch noch fröhlich durchkamen. Und weil so etwas nicht nur gefeiert, sondern auch belohnt gehört, gönnten wir uns ein kleines Laufseminar.

Natürlich könnte man an dieser Stelle einwerfen, dass man die Reihenfolge der Events eventuell ein bisserl optimieren könnte: Schließlich haben wir uns, einander und dem Rest der Welt, ja schon beim VCM bewiesen, dass wir laufen können; es dann Monate später lernen zu wollen, kann man durchaus auch hinterfragen.

Foto: Thomas Rottenberg

Oder aber man sieht die Sache anders. Tatsache A ist, dass jedes Kind laufen kann – und läuft. Und das ist gut so. (Dass es 1.001 medizinische, orthopädische und andere Gründe gibt, dass viele Menschen, in welchem Alter auch immer, weder laufen noch gehen können, klammere ich jetzt ganz bewusst aus.) Tatsache B, dass Laufen genau deshalb, weil es doch so einfach ist, ein Boomsport ist.

Doch Tatsache C ist das, was sogar blutige Laien beim Blick auf eine beliebige beliebte Laufstrecke sehen: Laufen ist nicht gleich Laufen. Nur: Warum?

Foto: Thomas Rottenberg

Genau das war Walter Kraus' erste Frage. Der Kopf des Lauf- und Sportberatungslabels "Runtasia" traf uns dort, wo Wien läuft. Auf der Hauptallee. Nicht nur, weil man hier gut laufen kann – auch "weil man hier gut studieren kann, was andere richtig machen.". Oder falsch: "Wieso sieht Laufen bei manchen Menschen schwerelos und locker aus – und bei anderen so gar nicht?"

Foto: Thomas Rottenberg

Grob – sehr grob – vereinfacht gesagt geht es da um die Flugphase. Um die Bodenkontaktzeiten. Also um Effizienz – und damit um Technik. Und die kann man lernen. Oder zumindest dran arbeiten. Nur hat die Sache einen Haken: Jede und jeder kann laufen. Von Kindesbeinen an.

Und das, was man ständig tut, lernt und internalisiert man. Der Haken dabei: Auch Fehler brennen sich nach ein paar tausend Wiederholungen ins "Muskelgedächtnis" ein. Da wieder rauszukommen ist verdammt schwer. Kraus: "Brutal gesagt: Bevor man etwas Neues aufbauen kann, muss man das Alte abreißen."

Foto: Thomas Rottenberg

Oder, weniger drastisch formuliert, sich zumindest darüber bewusst werden, wie man etwas tut. Nur: Beim Drüber-Nachdenken wird plötzlich alles unendlich komplex. Da geht es einem beim simplen Gehen plötzlich wie vor Ewigkeiten in der Fahrschule. Vor lauter An-alles-gleichzeitig-Denken-und-es-auch-benennen-können-müssen geht dann gar nix mehr.

Probieren Sie es aus – und geben Sie Ihrem Körper bei alltäglichen Bewegungsabläufen ganz bewusst Kommandos zu den Standardabläufen: Wenn Sie den linken Fuß nach vorne setzte, müssen Sie also welchem Arm welches Kommando geben? Und was tut meine Schulter da? Und wie hoch muss ich das Knie heben?

Foto: Thomas Rottenberg

Der Trick der Lauftrainer ist es deshalb, Bewegungen zu zerlegen. Und manche Segmente zu betonen. Zu übertreiben. So, dass es nicht nur fast grotesk aussieht. Und sich auch so anfühlt: Wer wissen will, wie er – oder sie – läuft, wird irgendwann entweder mit nach oben gerissenen Knien oder am Po anschlagenden Fersen dahinjoggen. Und dann diese Bewegungen kombinieren.

Oder sich im Hoppserlauf so fühlen, als wäre hier das Casting für Neuauflage des legendärsten Bawag-TV-Spots. (Nein, nicht der unterm Weihnachtsbaum) …

Foto: Thomas Rottenberg

… und sich dann auch noch, ballerinahaft seitwärtstrippelnd, ein wenig in Schwanensee-Stimmung versetzen können. "Nein, nicht auf den Zehenspitzen! Das ist keine Ballettstunde!"

Foto: Thomas Rottenberg

Laufschule – oder "Lauf-ABC" – nennt man das. Und dass das – und etliche andere Übungen – ein bisserl doof aussieht, spielt genau gar keine Rolle: Wer beim Durchexerzieren der "Ministry of Silly Walks"-Übungen Zeit und Atem findet, die Mienen der vorbeiziehenden Läuferinnen und Läufer zu beobachten, wird eines feststellen: Spöttisches oder herablassendes Grinsen (oder gar "launiges" Kommentieren) kommt ausschließlich von denen, deren Lauf genau nach dem Gegenteil von locker, leicht und schwerelos aussieht.

Foto: Thomas Rottenberg

Ob es da Zusammenhänge geben könnte? Walter Kraus formuliert es diplomatisch: "Ich bin selbst sehr lange ohne Technik- und Krafttraining unterwegs gewesen. Und hatte das Gefühl, dass ich gut unterwegs war. Das war vor zehn, oder 15 Jahren. Heute trainiere ich selber nicht mehr gezielt für Wettkämpfe und bin auch älter geworden – trotzdem wären meine Laufleistungen denen von früher sehr ähnlich: Ich behaupte, das macht ausschließlich die Technik aus."

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich gilt es hier eines zu betonen – und das tut Kraus auch selbst: Es gibt himmelhohe Unterschiede zwischen dem, was (und wie) Leistungssportler und Spitzenathleten trainieren – und dem, was Hobbyläufer trainieren. Oder brauchen: "Viele – auch sehr gute – Trainer arbeiten mit Elite-Athleten und Hobbyläufern. Und da das oft funktioniert, haben sie natürlich recht."

"Ich fokussiere aber ganz bewusst auf Jedermann- und Jederfrau-Sportler", erklärt der gebürtige Kärntner, "weil ich glaube, dass da andere Themen, Intensitäten und Methoden angebracht sind, als in der Arbeit mit und für Spitzensportler."

Foto: Thomas Rottenberg

Dennoch gibt es da Aspekte, an denen keiner vorbeikommt. Etwa an der Erkenntnis, dass Laufen mehr ist als das wiederholte schnelle Setzen des einen Fußes vor den anderen.

Oder das Erkennen, dass unsere Füße hin und wieder aus ihren – durchaus schützenden – Gefängnissen ausbrechen können sollen: Um sich daran zu erinnern, wie sich Gras, Erde und Boden anfühlen.

Foto: Thomas Rottenberg

Wenn sich just dabei dann plötzlich ein Regenbogen über die regennasse Wiese spannt: umso besser. Aber während solche Belohnungen dann alle lächeln (und die Gelsen vergessen) lassen, betont der Trainer, dass er nicht zu jenen Missionaren zählt, die Barfußlaufen als die einzig gültige Lehre anpreisen: "Es hat schon Sinn, Schuhe zu tragen – wenn es die richtigen sind."

Foto: Thomas Rottenberg

Apropos Gelsen: Die feierten ein Fest. Schließlich sind die Blutsauger gegen Läufer chancenlos – solange die mit mehr als sieben km/h unterwegs sind. Doch in einem Seminar, dessen Botschaft lautet, dass gutes Laufen (fast) den ganzen Körper fordert und man daher gut daran tut, ein bisserl mehr zu tun als nur zu rennen, wird eben nicht nur gelaufen: Neben den Grundlagen der Lauftechnik wird da auch (ein bisserl) auf laufspezifische Kräftigungsübungen hingewiesen: Beim Kniebeugenmachen entkommt nicht einmal Usain Bolt einer Gelse.

Foto: Thomas Rottenberg

Das gleiche gilt beim Ausfallschritt-Marsch durchs nasse Gras …

Foto: Thomas Rottenberg

… seitlichen Beinhebe-Übungen …

Foto: Thomas Rottenberg

… und ganz besonders bei Bauchübungen. Andererseits: Wenn man die "Plankerei" nicht bloß irgendwie runternudelt, sondern sich nur ansatzweise richtig reinhängt, melden sich in der Sekunde so viele andere Stellen des eigenen Körpers mit Schmerz- oder Alarmmeldungen, dass man auf die Gelsen komplett vergisst.

Foto: Thomas Rottenberg

Dehnen ("Menschen, die wie ihr in einem Verlagshaus arbeiten, sind ja ständig in Bewegung, sitzen nie stundenlang mit krummen Rücken in unnatürlichen und ungesunden Positionen – und haben deshalb weder Verspannungen noch sonst irgendwelche haltungsbedingte Bürden oder Beschwerden: Ihr braucht all das also nicht …") gehört dann natürlich auch noch dazu.

Foto: Thomas Rottenberg

Und ganz zuletzt kam dann noch ein feines Schmankerl: Kraus ließ uns in Sieben-Zwerge-Manier hintereinander antreten – und sagte: "Lauft mal im Gleichschritt, mit nicht mehr als 50 Zentimetern Abstand." Das Debakel war vorhersehbar: Vorgekrümmt und verkrampft auf die Fersen von Vordermann oder Vorderfrau starrend, stolperten wir dahin. In steter Angst, dass uns jemand in die Hacken treten könnte – oder wir jemanden treffen würden. "Stooop!"

Foto: Thomas Rottenberg

Wir hatten alles vergessen. "Aber das ist normal", tröstete uns der Coach: Eine Stunde zuvor hatten wir gelernt, dass Schritt und Rhythmus nicht vom Fuß, sondern aus dem Arm kämen. "Der Ellenbogen gibt den Takt an", erinnerte uns Walter Kraus, "schaut dem Vordermann nicht auf den Fuß, das wird nix. Orientiert euch am Ellenbogen!"

Und siehe da, was keiner von uns je für möglich gehalten hätte, funktionierte plötzlich: Der STANDARD-Tatzelwurm bewegte sich flüssig und zügig die Hauptallee entlang.

Foto: Thomas Rottenberg

Und dass wir da plötzlich im Gleichschritt unterwegs waren, hat natürlich genau gar nix zu sagen. Außer, dass wir halt wissen, wie es geht. (Thomas Rottenberg, 25.6.2015)

ederp