Wien – Energie-Control-Vorstand Walter Boltz plädiert für eine Reaktivierung der "Nabucco"-Pipeline-Pläne auf den früher geplanten Trassen von "Nabucco West" und "South Stream". Die EU sollte sich zügig, im nächsten halben bis dreiviertel Jahr, für eine Route entscheiden. Für eine rasche Umsetzung bis 2020/21 wäre ein Aufsetzen auf vorhandene Projekte am sinnvollsten, sagte Boltz am Dienstag.

Eventuell könne man sogar frühere Teilnehmer als "potenzielle Partner" dafür gewinnen, meinte der Vorstandsdirektor der Regulierungsbehörde im Klub der Wirtschaftspublizisten. Seinerzeit beim "Nabucco"-Projekt war federführend die OMV dabei gewesen, mit im Boot aber auch die deutsche RWE. Ein Aufsetzen auf vorhandene Projekte sei sinnvoll, etwa im Hinblick auf schon genehmigte Teilabschnitte oder bereits fixierte Grundablösen, denn "von Null weg kann man das nicht binnen fünf Jahren machen".

Geschäft mit Pipelines

In Angriff nehmen sollten das Vorhaben diesmal am besten gleich entflochtene Gasnetzbetreiber, "die wären finanziell ausreichend leistungsfähig". Investoren, etwa Infrastrukturfonds, hätten mit Sicherheit ein Interesse, Geld in eine solche Gasleitung hineinzustecken – denn Pipelines seien "ein Geschäft".

Allfälliges Risiko könne durch die Regeln des EU-Infrastrukturpakets mittlerweile besser verteilt werden, im Rahmen der "cross border cost allocation". Blieben etwa bei einem Zehn-Milliarden-Euro-Projekt drei Milliarden ungedeckt, könnten die Kosten auf die beteiligten Länder aufgeteilt werden, die ihre Anteile über den nationalen Tarif einheben. Zwischen Baltikum und Polen sei das schon einmal angewendet worden.

Für Gas aus dem "kaspischen Raum" – die große Zukunfts-Vision für Europa und eine Alternative zu Erdgas aus Russland – hält Boltz in Richtung Bulgarien eine On- oder Offshore-Lösung für möglich, entweder also über das Territorium der Türkei oder durch das Schwarze Meer. Eine Leitung durchs Meer, etwa von Georgien oder Armenien aus, sei zwar teurer, ginge aber auch – schließlich sei auch der erste Teil der "South Stream" im Meer gelegen. Die türkische Landbrücke zu nutzen wäre natürlich billiger, gibt Boltz zu bedenken – und er glaubt, dass dazu eine Einigung mit der Türkei zu erzielen wäre.

Abkommen mit der Türkei

Um entsprechende Abkommen mit der Türkei sollte sich direkt die EU-Kommission bemühen. Der Türkei würden für den Gastransit kostenorientierte Tarife winken, wobei das Land als Maximum wohl das Delta zwischen dem billigen Landtransport und dem teuren Transportweg durchs Schwarze Meer erzielen könnte. Werde die "Nabucco"-Route genützt, könnten zudem die Balkan-Staaten bessere Versorgungs-Resultate erzielen – weil sie direkt an die neue Leitung angebunden wären, die dann unbedingt auch in umgekehrter Richtung (reverse flow) nutzbar sein sollte, wie sich Boltz wünscht.

An sich ist der Gasverbrauch in Europa stark rückläufig gewesen – zumindest in den letzten Jahren. Seit 2008, vor der Finanz- und Wirtschaftskrise, dürfte er um 20 Prozent gesunken sein, schätzt Boltz. 2014 lag er laut einer Schätzung von Eurogas von März in der EU-28 um 11,2 Prozent niedriger als 2013. Im Vorjahr lag der Gesamtverbrauch demzufolge bei 409 Mrd. m3. Grund sei die schwache Wirtschaft, so Boltz, aber auch erzielte Effizienzfortschritte sowie die überwiegend relativ warmen Winter.

Neue Quellen

Auf längere Sicht werde Europa aber mehr Gas importieren müssen, da die Eigenförderung weiter sinke. Von 2012 auf 2013 sank die Eigenproduktion der EU-28 laut Eurogas um 0,6 Prozent auf 157 Mrd. m3. Bei den Einfuhren gehe es auch um neue Quellen: "Wir wollen eine Diversifizierung, aber den Markt nicht komplett auf den Kopf stellen." Nötig sei ein Gaskorridor Richtung Südosten – also zu Turkmenistan, Aserbaidschan, Kasachstan und Georgien, wo ein Gasvolumen lagere, das dem Verbrauch Österreichs für 1.000 Jahre entspreche.

Die Memorandums of Understanding zwischen OMV und Gazprom sollte man nicht überbewerten, die hätten eher symbolische Bedeutung, meinte der E-Control-Vorstand auf eine Frage. Es fehlten in dem Bereich klare politische Vorgaben, "wir wollten unsere Haltung zu russischem Gas konkretisieren". Die OMV habe traditionell gute Beziehungen zu Gazprom und sei ja erster Kunde des Konzerns gewesen. Die Russen wiederum würden die hier nicht konsistente Politik Europas ausnützen. Zuletzt hat die OMV mit Gazprom, E.ON und Shell eine Absichtserklärung zur Beteiligung am Ausbau der Gaspipeline "Nord Stream" unterzeichnet. Davor hatte die OMV mit der Gazprom jahrelang an den "South Stream"-Plänen gebastelt, ehe Kremlchef Wladimir Putin Anfang Dezember 2014 bei einem Türkei-Besuch überraschend den Stopp für diese Gasleitung verkündete.

Momentan gebe es zu viel Gas in Europa und auch am Weltmarkt, daher werde der Gaspreis nicht steigen, sondern eher leicht sinken, meinte Boltz: "Wir rechnen in den nächsten zwei, drei Jahren mit einem sehr gut, eher sogar überversorgten weltweiten Gasmarkt. Die Preise bleiben also niedrig." (APA, 23.6.2015)