2012 haben Pola Fendel und Thekla Wilkening den unerschöpflichen Kleiderkasten erfunden. Mithilfe von Crowdfunding funktioniert ihr Konzept für das Ausleihen von Gewand nun auch online.

Foto: Denys Karlinskyy

Ohne Fotokampagnen funktionieren Crowdfunding-Projekte in der Mode selten.

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Ist die Crowd aber erst einmal angefixt, verlangt sie gleich nach neuen Ideen.

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Wiener Yppenplatz 5, an einem Vormittag um zehn. Cloed Baumgartner sitzt vor dem Büro mit angeschlossenem Shop ihres Labels "Milch", löffelt Joghurt mit Früchten, dazu gibt's grünen Tee. Dass Baumgartner hier seit zehn Jahren arbeitet, ist nicht zu überhören: kurzer Smalltalk mit den Nachbarinnen, zwei Fensterputzer wollen mal wieder die Auslagen säubern.

Im Gespräch geht es allerdings nicht um ihr bestehendes Label, sondern um ein Projekt, mit dem die Miterfinderin des Pop-up-Store-Messe-Konzepts "Modepalast" in den Startlöchern steht. Ihre neue Idee nennt sich "Lieblingsbrand" und ist ein Onlineshop für österreichische Mode und Designprodukte. Das Besondere an der Sache: Angeschoben wurde dieses Projekt mittels Crowdfunding, also Schwarmfinanzierung im Internet.

Der richtige Riecher

Cloed Baumgartner scheint den richtigen Riecher zum richtigen Zeitpunkt gehabt zu haben. Die Nachfrage nach einem Online-Shop-in-Shop für lokal produzierte, österreichische Designprodukte ist da. Sonst hätte das Projekt auf der Schweizer Crowdfunding-Plattform "we make it", die ihre Fühler vor kurzem auch nach Österreich ausstreckte, im April nicht erfolgreich abgeschlossen. Knapp 12.500 Euro wurden von 147 Unterstützern zusammengetragen.

Insbesondere für Modeprojekte, die Nischeninteressen verfolgen, ist Crowdfunding eine gute Sache. Denn große finanzielle Risiken geht auf Plattformen wie Kickstarter, Startnext oder we make it niemand ein. Das Wiener Label Mavienna hat im Mai auf diese Weise fast 14.000 Euro für seine erste regional und nachhaltig produzierte Kinderkollektion zusammengetrommelt, die Berliner Designerin Esther Perbandt ersammelte im letzten Jahr für ihre Show anlässlich des zehnten Labeljubiläums über 5.000 Euro, das faire Hamburger Modelabel Jan 'n June animierte mit einem originellen Video zur Unterstützung der ersten Kollektion, und der US-Online-Versand Everlane finanzierte 2013 seine Expansion nach Kanada. Was in allen Fällen zählte: eine schlüssige Idee, ein authentisches Video, durchdachte Gegenleistungen für die Unterstützer.

Kampagnen-Schwarm

In der Mode scheint das Interesse an der Schwarmfinanzierung zuzunehmen. Diese Beobachtung macht zumindest Johannes Gees, Gründer der Schweizer Crowdfunding-Plattform we make it. Er meint: "Kampagnen im Modebereich sind bei uns ganz klar im Kommen." Im vergangenen Jahr wurden auf we make it nur sieben Modeprojekte beworben, bis Ende Mai dieses Jahres waren es bereits zehn.

Doch was gilt es speziell bei Crowdfunding-Kampagnen im Modebereich zu beachten? Insbesondere in den Segmenten Mode und Accessoires, in denen es um Produkte gehe, sei es wichtig, Crowdfunding nicht als "Fördertopf" , sondern als Vorverkaufs-, Marketing- und Markttestwerkzeug zu verstehen, meint Gees. Anna Theil von der deutschen Crowdfunding-Plattform Startnext glaubt, dass bei Modeprojekten die Gestaltung des Bildmaterials und der Videos eine besondere Rolle spielt. Theils Zwischenbilanz: "Seit 2010 wurden bei uns rund 150 Modeprojekte gestartet, knapp 70 erfolgreich finanziert, fast 20 sind gerade in oder kurz vor der Finanzierungsphase."

Im letzten Jahr wickelte das Verleihgeschäft Kleiderei aus Hamburg eine Modekampagne auf Startnext ab. Pola Fendel und Thekla Wilkening haben ihr Unternehmen schon Ende 2012 mit einem Kleiderfundus, der entliehen werden kann, gegründet. Im Sommer 2014 wurden dann mithilfe der Crowdfunding-Kampagne über 15.000 Euro für die Online-Variante der Kleiderei gesammelt.

Der Erfolg der beiden Frauen kommt nicht von ungefähr. An den Mittzwanzigerinnen sehen geliehene Kleider und Kapitalismuskritik plötzlich sexy, jung und frisch aus. Von Anfang an haben Fendel und Wilkening sich selbst als Botschafterinnen der Kleiderei inszeniert. Die Strategie ging auf: Presseanfragen noch und nöcher. Thekla Wilkening weiß, warum: "Die Bilder waren der wichtigste Baustein zu unserem Erfolg." Dieser sei daher auch ihrem Fotografen, mit dem sie seit drei Jahren zusammenarbeiten, zu verdanken. Denn eine Masse, die erreiche man vor allem über Gesichter.

Unrealistische Ziele

Crowdfunding kann imstande sein, die Gesetze des konventionellen Modebusiness auszuhebeln. Ein großer Designername? Ist nicht zwangsläufig von Vorteil. Der amerikanische Designer Stephen Burrows etwa, mittlerweile Anfang siebzig, hat seine große Zeit, in der er Frauen wie Farrah Fawcett und Brooke Shields einkleidete, hinter sich. In den letzten Wochen versuchte er auf Kickstarter mit einer Crowdfunding-Kampagne an seine Erfolge anzuknüpfen, sogar die New York Times schrieb darüber. Von anvisierten 263.000 Euro kamen trotzdem nur etwas mehr als 10.000 Euro zusammen. Unrealistische Ziele, lieblose Geschenke für die Unterstützer, da konnte auch ein professionelles Video die Kampagne nicht retten. So einfach, wie es aussieht, ist Crowd-funding also doch nicht. Und ein Selbstläufer erst recht nicht.

"Unsere Kampagne war ein hartes Stück Arbeit, man braucht eine Crowd im Rücken", sagen auch die Hamburgerinnen von Kleiderei. Trotz 9.000 Facebook-Fans sei es nicht einfach gewesen, die Community zum Klick auf die Startnext-Seite zu motivieren. Und sie nach dem Presserummel der letzten Jahre davon zu überzeugen, dass man ihre Unterstützung trotzdem brauche.

Cloed Baumgartner, die erfahrene Vernetzerin innerhalb der österreichischen Szene, erklärt, wie Geldeinsammeln funktioniert: "Beim Crowdfunding gibt es die drei Fs: Familie, Freunde – und erst dann kommen die Fans, die mit der Kampagne generiert werden." Bescheidenheit ist fehl am Platz: "Man muss den Leuten jeden Tag den digitalen Klingelbeutel unter die Nase halten."

Wie gut das gehen kann, haben die Vorreiter in den USA bewiesen. Im Frühjahr 2013 startete das kalifornische Jeans-Label Gustin bei Kickstarter eine Crowdfunding-Kampagne. Das bis dahin erfolgreichste Modeprojekt bei Kickstarter überhaupt. Mehr als 4.000 Spender generierten knapp 400.000 Euro. Wofür? Für Designerjeans, die nur zwischen 70 und 90 Euro kosten. Durch das Ausschalten von Mittelsmännern wie Einkäufern oder Großhändlern ist das möglich. Heute werden auf der Website Bestellungen für Jeans, Hemden, Visitenkartentäschchen und Ledersneaker gesammelt, der Kaufpreis aber bei jedem Modell erst abgebucht, wenn die zuvor festgelegte Zahl an kaufwilligen Kunden beisammen ist. Nach einem knappen Monat kann die Ware verschickt werden.

Die Kunden, die bei Gustin einkaufen, haben damit kein Problem, ganz im Gegenteil. Mit vielen Unterstützern von Crowd-funding-Kampagnen verbindet sie: Sie haben die Nase voll von Fast Fashion. (Anne Feldkamp, RONDO, 26.6.2015)