Podgorica/Wien – "Wir werden vergessen! Die EU muss mehr für die Medienfreiheit am Balkan machen." Zjelko Ivanovic, Chef Besuchder montenegrinischen Oppositionszeitung "Vijesti", nahm sich am Freitag kein Blatt vor den Mund. Bei einem Redaktionsbesuch von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) entwarf Ivanovic ein prekäres Bild über die Angriffe auf regierungskritische Presseeinrichtungen in dem kleinen Adriastaat.

Ivanovic selbst beschreibt es so: "Wenn ich abends in ein Restaurant gehe, muss ich mich immer umschauen, ob mir nicht jemand folgt." Er tut gut daran: Im Jahr 2007 war er attackiert worden. So heftig, dass er um sein Leben fürchtete. Damals habe Milo Djukanovic, der Montenegro nunmehr seit 25 Jahren als Regierungschef oder Präsident fest im Griff hat, bei seinem Kreuzzug gegen ihm unangenehme Journalisten auf pure Gewalt gesetzt.

Nach Kritik der EU und anderen Institutionen habe er aber seine Taktik geändert, so Ivanovic im Gespräch mit Kurz. Seither versuche er die Medienvertreter entweder wirtschaftlich ("Wir verdienen im Jahr durch Anzeigen und so rund 3,5 Millionen Euro. Er aber zahlt unseren Mitbewerbern acht Millionen") oder psychisch und durch Verunglimpfung fertigzumachen. "Er nennt uns öffentlich die Mafia-Presse", heißt es in der "Vjiesti"-Redaktion im Zentrum der Hauptstadt Podgorica.

Dass ausgerechnet Djukanovic diesen Ausdruck im Zusammenhang mit der kritischen Presse in dem kleinen Balkanstaat, der in der kommenden Woche die Kapitel 19 und 20 bei den Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union eröffnen wird, in den Mund nimmt, erscheint den "Vijesti"-Redakteuren geradezu als Treppenwitz. Der Regierungschef sitze ungeniert in Restaurants mit führenden Köpfen der Organisierten Kriminalität zusammen, poltert Ivanovic. "Es gibt hier keine Trennung zwischen Politik und der Mafia-Szene. (...) Sie kontrollieren die Parteien, die Wirtschaft, das öffentliche Leben."

Der heute 53-jährige Djukanovic selbst soll zumindest am Beginn seiner Karriere massiv vom Zigarettenschmuggel über die Adria nach Italien profitiert haben. Der Vorwurf der Korruption ließ ihn nie los. Wer darüber berichte, wie das mit 25 Prozent zum Styria-Konzern gehörende "Vijesti"-Medienhaus, lebt aber gefährlich. Zumal ihre Reichweite beachtlich ist. Ivanovic belegt das anhand der von TV Vijesti ausgestrahlten Nachrichtensendung. "Wir haben 180.000 Seher, in Montenegro gibt es aber vielleicht 200.000 Haushalte."

Die EU müsse bei den Verhandlungen mehr auf die Situation der Medien achten, forderte Ivanovic. Das gelte für Montenegro, aber auch für andere Länder der Region wie Bosnien-Herzegowina, Mazedonien oder Serbien. Allerdings, so erzählt man sich in Podgorica aber auch, seien Oppositionelle und ebensolche Journalisten manchmal ebenfalls in andere Geschäfte verwickelt. Bei manchem Anschlag geht es dann möglicherweise nicht unbedingt um die hehre Pressefreiheit.

Der Außenminister unterstrich aber jedenfalls gegenüber den TV-Vijesti-Redakteuren zum Abschluss seines Besuchs noch einmal die Aussage, die er schon zuvor gegenüber seinem Amtskollegen Igor Luksic getätigt hatte: "Medienfreiheit ist eine der Säulen für eine funktionierende Demokratie." Mitten in dem Gespräch rief aber bereits die nächsten Aufgabe, der EU-Sondergipfel zu Euro und Griechenland am kommenden Montag. Das Handy schrillte: "Sorry, der britische Außenminister (Philip) Hammond ruft mich an. Ich muss abheben." Kurz sprach's und war auch schon verschwunden. (APA 18.6.2016)