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Bereits jetzt gehen die ungarischen Behörden an der Grenze zu Serbien hart gegen illegale Grenzübergänger vor.

Foto: REUTERS/Bernadett Szabo

1989 war Ungarn das erste kommunistische Land, das den Eisernen Vorhang abriss, die mit Wachtürmen bewehrte Sperranlage an der Grenze zu Österreich. Jetzt, 26 Jahre später, soll nach dem Willen des rechtspopulistischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ein neuer Eiserner Vorhang entstehen, diesmal an der Südgrenze zu Serbien. Der vier Meter hohe, 175 Kilometer lange Metallzaun soll nicht Inländer vom Verlassen, sondern Ausländer vom Betreten des Landes abhalten.

Die Entscheidung fiel recht plötzlich auf einer Kabinettssitzung am Mittwoch. Außenminister Péter Szijjártó gab kurz bekannt, dass Innenminister Sándor Pintér die Anweisung erhalten habe, den Zaun binnen einer Woche vorzubereiten, erklärte er. "Die Regierung ist dazu entschlossen, Ungarn und die ungarischen Menschen vor dem Einwanderungsdruck zu schützen", fügte der Minister hinzu.

Wütendes Serbien

Die Reaktion aus Serbien kam prompt und heftig: "Der wütende Orbán", titelte die Zeitung Blic. Der Zaun sei ein Unterfangen, das man in Europa seit der Berliner Mauer nicht gesehen habe. Andere serbische Medien empörten sich über die Ankündigung, eine "chinesische Mauer" zwischen den Staaten zu bauen.

"Belgrad werde seinerseits sicher nicht Mauern an seinen Staatsgrenzen errichten und eingeschlossen wie in Auschwitz leben", erklärte Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vucic. Serbien sei nur ein Transitland und habe keine Schuld an dem Flüchtlingsstrom, der über die EU-Länder Griechenland und Bulgarien nach Serbien ziehe. Vucic will bei "seinem Freund" Orbán nach dem Rechten schauen.

Kein "Einwanderungsdruck"

Scharfe Kritik an Ungarn gab es auch aus Brüssel. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte am Donnerstag, dass die Union "nicht den Bau von Zäunen unterstützt". Vor allem, weil man die Mauern in Europa erst abgerissen habe. Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer sprach von einem "Schritt in die falsche Richtung".

Ein "Einwanderungsdruck", wie ihn die Regierung Ungarns abhalten will, existiert freilich nicht. Trotzdem ist das Orbán-Land eine der wichtigeren Durchgangsstationen für die europäischen Migrationsströme, auf der Route, die vom Balkan nach Mitteleuropa führt. Und tatsächlich stieg die Zahl der Asylbewerber in Ungarn im Jahr 2014 auf 43.000 (von zuvor etwa 2.000 im Jahr), wobei heuer bereits mehr als 50.000 Anträge registriert wurden.

Doch praktisch keiner dieser Flüchtlinge bleibt in Ungarn – bei nächster Gelegenheit ziehen die Migranten in den reichen Westen Europas weiter. Ende 2014 lebten in Ungarn weniger als 3.000 anerkannte Flüchtlinge. Illegale gibt es wiederum deshalb kaum, weil die Verdienstmöglichkeiten geringer sind als in den wohlhabenderen Ländern der Schengen-Zone, der Ungarn angehört.

Populistischer Instinkt

Nach dem blutigen Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris entdeckte Orbán mit sicherem populistischem Instinkt die Flüchtlingsthematik für sich. Mit seinen Beratern entwickelte er eine Hetzkampagne gegen Migranten. Sie stellte deren angebliche kulturelle Ungeeignetheit für ein Leben in Ungarn – und in Europa – sowie die angeblich von ihnen ausgehende Terrorgefahr in den Raum. In den von Orbán-Anhängern kontrollierten öffentlich-rechtlichen Medien trommeln der Regierungschef und seine Propagandisten beständig gegen die "Ausländergefahr". Eine zweimonatige Volksbefragung mit Suggestivfragen und landesweit angebrachte Großplakate mit fremdenfeindlichen Losungen verleihen der Kampagne zusätzliche Tiefe.

Mit dem Feldzug gegen die Fremden reagiert Orbán auf die jüngsten Umfragezuwächse der rechtsextremen Parlamentspartei Jobbik. Die Idee des Grenzzauns stammt vom Jobbik-Bürgermeister der südungarischen Grenzgemeinde Ásotthalom. László Toroczkai hatte zuvor die mit der Jobbik verbündete ultrarechte, revanchistische Jugendbewegung der 64 Burgkomitate angeführt. Als zu Jahresbeginn eine – inzwischen abgeebbte – Welle von Kosovo-Albanern über die ungarisch-serbische Grenze strömte, forderte er die Errichtung eines Zauns zur "Abwehr" der Migranten. Es ist nicht das erste Mal, dass Orbán erfüllt, was die Jobbik verlangt. (Gregor Mayer aus Budapest Andrej Ivanji aus Belgrad, 18.6.2015)