Kiew – Ein heftiger Konflikt zwischen dem Geheimdienstchef und Präsident Petro Poroschenko erschüttert die ukrainische Innenpolitik. Sollte sich Poroschenko die nötige Parlamentsmehrheit sichern, dürfte er noch diese Woche die Entlassung Walentyn Nalywajtschenko initiieren. Beobachter sehen den Konflikt im Zusammenhang mit jüngsten Äußerungen des ukrainischen Oligarchen Dimitri Firtasch in Wien.

Seit die ukrainische Präsidentschaftskanzlei am Wochenende Walentyn Nalywajtschenko eine Dienstreise nach Washington versagt hat, war klar, dass es zwischen dem Präsidenten und dem Geheimdienstchef massive Spannungen geben muss. Anstelle einer Präsentation vor amerikanischen Politikern wurde Nalywajtschenko am Montag dann auch noch von der Generalstaatsanwaltschaft zu einer Zeugenvernehmung geladen – als Privatperson, was höchst ungewöhnlich ist.

Formaler Aufhänger dafür war ein Fernsehauftritt des Geheimdienstlers vor wenigen Tage, in dem Nalywajtschenko – ohne einen konkreten Namen zu nennen – einen kürzlich abgelösten Vizegeneralstaatsanwalt der Korruption beschuldigt hatte. Das war von Beobachtern als Angriff auf den Präsidenten verstanden worden, der für die Generalstaatsanwaltschaft als politisch verantwortlich gilt.

Nalywajtschenko inszenierte die Zeugenbefragung am Montag dann als kleine Show und legte am Dienstag einen erneuten PR-Coup vor der Generalstaatsanwaltschaft in Kiew hin: Seine Pressestelle kündigte kurzfristig einen Auftritt an, Nalywajtschenko kam, verkündete neue und spektakuläre SBU-Ermittlungen und verließ den Schauplatz ohne die Generalstaatsanwaltschaft zu betreten.

Insgesamt vermittelte der ukrainische Geheimdienst in den vergangenen Tagen einen hyperaktiven Eindruck: Nalywajtschenko entließ die gesamte Führung der für Korruptionsbekämpfung verantwortlichen SBU-Abteilung, er berichtete über neue Ermittlungen des Geheimdienstes gegen einen Ex-Vizegeneralstaatsanwalt, gegen nach Russland übergelaufene Geheimagenten und selbst gegen den amtierenden Vorsitzenden des Verfassungsgerichtshofs. Letzterem wird nunmehr illegale Teilhabe an der Machtursurpation durch den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch vorgeworfen.

"Am Mittwoch vor einer Woche hat der Präsident dem Geheimdienstchef vorgeschlagen, die Leitung des ukrainischen Auslandsgeheimdienstes SSR zu übernehmen", erklärt der Parlamentsabgeordneter Serhij Leschtschenko vom Block Petro Poroschenko gegenüber der APA. Indem er zeige, dass er wirklich gegen Korruption kämpfe, könne der SBU-Chef nichts verlieren, sagt Leschtschenko: Wenn es keine Mehrheit für eine Ablöse im Parlament geben sollte, bleibe er Geheimdienstchef, anderenfalls sammle Nalywajtschenko mit seinen Aktivitäten Kapital für eine mögliche politische Karriere.

Alles was nun passiere, so ist Leschtschenko überzeugt, sei eine Reaktion auf jene Erklärungen, die Dimitri Firtasch kürzlich im Wiener Straflandesgericht abgegeben habe: "Firtasch sagte, dass er mit Wahl von Poroschenko zum Präsidenten und von Witali Klitschko zum Kiewer Bürgermeister alles Gewünschte bekommen habe". Damit habe Firtasch zum Ausdruck gebracht, dass Poroschenko und Klitschko politische Marionetten seien und damit habe er eine zuvor existierende Absprache mit den beiden Politikern zerstört, so Leschtschenko. Er wirft Nalywajtschenko in zumindest einem konkreten Fall vor, seine Amtsgewalt für wirtschaftliche Interessen Firtaschs eingesetzt zu haben.

Wenige Tage bevor Poroschenko im Frühjahr 2014 seine Kandidatur für das Präsidentenamt verlautbart hatte, war es Wien zu einem sichtlich wichtigen Treffen von Poroschenko, Klitschko und Firtasch gekommen. Vom Inhalt etwaiger Abmachungen ist nichts bekannt.

Ob das aktuelle Vorhaben des Präsidenten, Nalywajtschenko zu entlassen, die nötige parlamentarische Mehrheit finden wird, war zumindest am Mittwoch noch unklar. Selbst die Parlamentsfraktion des Präsidenten gilt als gespalten: Nach einem Treffen des Präsidenten mit dem Block Petro Poroschenko erklärte Witali Klitscko, dass die Vertreter seiner Partei Udar im Poroschenko-Block nicht für die Entlassung stimmen würden.

Nalyawajtschenko war vor seiner Kür zum Geheimdienstdirektor im Februar 2014 Abgeordneter von Udar gewesen. Und Udar seinerseits, so lautet ein hartnäckiges Gerücht, soll in der Vergangenheit auch von Dimitri Firtasch unterstützt worden sein. (APA, 18.6.2015)