Wien/Paris – Der Finanzsektor ist außer Rand und Band und stürzt die Welt über kurz oder lang in die nächste Krise, Banker verdienen viel zu viel und lassen die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgehen. Was verdächtig nach einer Diskussion am Stammtisch klingt, ist zugespitzt die Kurzfassung einer neuen Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)

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Viele Ökonomen sehen einen gut ausgebauten Finanzsektor als zentral für produktive Volkswirtschaften an, weil er Geld von Sparern zu Unternehmen und Haushalten umverteilt, die es gerade brauchen. In den vergangenen 50 Jahren ist das Kreditvolumen aber drei Mal so schnell gewachsen wie die Wirtschaftsleistung. Das ist zu viel des Guten, sagt nun die Industrieländer-Denkfabrik.

Der aufgeblähte Finanzsektor verringere das Wachstum der Wirtschaft und erhöhe noch dazu die Ungleichheit. In der Eurozone ist das Kreditvolumen seit der Jahrtausendwende von 85 Prozent auf über 140 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen. Das OECD-Modell legt nahe, dass im Durchschnitt ab einem Kreditvolumen von 80 Prozent das Wachstum leidet. Werden Kredite ungebremst vergeben, sei es wahrscheinlich, dass das Geld weniger produktiv eingesetzt werde, so die OECD.

Außerdem würden Banken immer mehr an Haushalte, statt an Unternehmen verleihen. Das sei tendenziell schlecht für das Wachstum der Wirtschaft, weil Kreditmittel in Konsum und Häuser statt in produktive Investitionen fließen.

Auch die Schere zwischen Arm und Reich gehe durch das Aufblasen des Kreditvolumens auf, weil Gutverdiener besseren Zugang zu Krediten hätten. Banker, die ihr Geld damit verdienen, werden im Vergleich mit anderen Angestellten ähnlicher Qualifikation darüber hinaus deutlich besser bezahlt. Im obersten ein Prozent der Einkommensbezieher in den OECD-Ländern arbeite jeder Fünfte im Finanzsektor, obwohl sie nur vier Prozent aller Beschäftigten ausmachen würden, so die Denkfabrik. Dadurch würden junge, fähige Leute vom ohnehin schon zu großen Finanzsektor angezogen.

Deregulierung ging zu weit

Ursache für die starke Ausweitung der Kreditvergabe ist laut OECD die exzessive Deregulierung des Finanzsektors in den vergangenen Jahrzehnten. Auch das Problem "Too big to fail", also für die Pleite zu große Banken, müsse endlich richtig angegangen werden. Das Steuersystem in allen Ländern mache es attraktiver, sich über Schulden statt über Eigenkapital zu finanzieren, kritisiert die OECD in ihrer Analyse.

In vielen Ländern werden Zinsen als Ausgabe für Unternehmen gewertet, die die Steuerlast verringert. Dividenden, die so etwas wie der Zins für Aktien sind, werden hingegen besteuert. Würden sich Unternehmen vermehrt mit Aktien statt mit Bankkrediten finanzieren, sei das für das Wirtschaftswachstum besser, sagt die OECD.

EU bastelt an Kapitalmarktunion

Die Studie zeigt, wie die internationale Finanzkrise seit einigen Jahren das Denken in Politik und Ökonomie verändert hat. Vor 2008 gehörten Forscher, die den Finanzsektor als zu groß und gefährlich bezeichneten, noch zu den klaren Außenseitern.

Die EU-Kommission bastelt darüber hinaus seit geraumer Zeit an einer sogenannten Kapitalmarktunion, mit der sie die Abhängigkeit von Unternehmen von Bankkrediten verringern will. (Andreas Sator, 17.6.2015)