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Der Vertrag von Maastricht gilt als Meilenstein der europäischen Integration, er ist Ausgangspunkt eines neuen Forschungsprojekts.

Foto: EPA/MARCEL VAN HOORN

Wien - Ökonomische Modelle zur Zukunft der EU florieren. Fast im Wochentakt entstehen neue Vorschläge, wie die EU als Wirtschafts- und Währungsunion Krisen bewältigen kann, die ihr noch bevorstehen. Auch die EU-Institutionen selbst denken laut über ihre Zukunft nach: Die Europäische Kommission schlug 2012 vor, die Wirtschaftspolitik und Fiskalpolitik aller Mitgliedsstaaten für eine "vertiefte, echte Wirtschafts- und Währungsunion" auf EU-Ebene zu koordinieren, abzusegnen und zu überwachen.

Ob die Mitgliedsstaaten solche Vorschläge politisch durchsetzen wollen und rechtlich überhaupt umsetzen können, ist nun Gegenstand internationaler Forschungen an der Universität Salzburg. Am 1. Juli startet das Projekt "The Choice for Europe since Maastricht" am Salzburg Centre of European Union Studies. Das Salzburger Forscherteam unter der Leitung der Politikwissenschafterin Sonja Puntscher Riekmann und Fabian Wasserfallen sowie dem Europarechtler Stefan Griller wirkt über die nächsten vier Jahre mit acht führenden EU-Forschern und 28 Verfassungsexperten zusammen. Finanziert wird das Projekt von Horizon 2020, einem EU-Programm für Forschung und Innovation.

Dabei überprüfen die Wissenschafter in 165 Interviews mit politischen Akteuren, ob die europäischen Staaten in wirtschaftlicher Hinsicht überhaupt zusammenrücken möchten. Denn je nachdem, wem die nationale Regierung gern ihr Ohr leiht - etwa dem Parlament, der Sozialpartnerschaften, oder Industriellen -, befürworten die Staaten mehr Kompetenzen für die EU oder lehnen sie ab. In einem zweiten Schritt prüfen Rechtsexperten die Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten und ihren Bezug zum Unionsrecht.

Fiskalvorbild USA

Ideen wie eine EU-Arbeitslosenversicherung, eine koordinierte Budgetpolitik bis hin zu einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung finden sich heute im Diskurs zu einer stabileren Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wieder. Die US-amerikanische Fachliteratur schlägt vor, in der EU eine Fiskalunion einzuführen - ganz nach dem Modell der USA selbst. Eines haben die Vorschläge oft gemein: Sie kümmern sich kaum um die politische und rechtliche Umsetzbarkeit.

Letzteres ist das Metier von Stefan Griller. Für den Verfassungsrechtler und Europarechtsexperten diktieren die Verfassungen den Weg in die Zukunft Europas und weisen sie zugleich in ihre Schranken. Zwischen den Nationalstaaten ergibt sich ein diverses Bild, in dem Politik und Recht wechselwirken.

In Dänemark, wo ein eigenständiger Verfassungsgerichtshof fehlt, ist das Parlament der zentrale politische Akteur. Daher schreckt das Land verstärkt davor zurück, die Entscheidungsgewalt über das Budget an die EU abzutreten. Großbritannien hingegen könne rechtlich gesehen neue EU-Verträge relativ unproblematisch in das nationale Recht integrieren - nur politisch fehlt der Wille.

"Es gibt Verfassungen mit einem viel rigideren Änderungssystem als dem österreichischen", sagt Griller. Als besonders extremes Beispiel nennt der Jurist Bulgarien. Eine Veränderung der Verfassung brauche dort eine Mehrheit von 80 Prozent, zudem eine Volksabstimmung, und das Parlament trete zweimal über denselben Beschluss zusammen.

Politische Niederlage

Das Scheitern an solchen Hürden scheint vorprogrammiert. Und um einer wahrscheinlichen politischen Niederlage zu entgehen, werden auch neue, einschneidende Veränderungen in der EU abgelehnt, die eine solche Verfassungsänderung nach sich ziehen würden.

Der Vertrag von Maastricht bildet als Meilenstein der europäischen Integration den historischen Ausgangspunkt des Forschungsprojekts. 1993 schrieb er die schrittweise Einführung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion fest. Aber schon in den 1990ern kritisierten Theoretiker die fehlenden Sicherheitsnetze der Währungsunion im Falle einer Krise. "Man hat aufgrund der Erfolgsstory des Euro davon abgesehen, frühzeitig Maßnahmen zu setzen", sagt Puntscher Riekmann. Auch hier soll sich anhand bisher unausgewerteter Dokumente zeigen, wie die Präferenzen der Nationalstaaten Regeln verschoben und einem Ausbau der EU-Kompetenz vorbeugten.

Wie auch immer die EU diesen Weg fortführt - für Griller ist die Arbeit der Juristen als Prüfer und Mahner dabei unerlässlich. "In manchen Fällen verbiegen Staaten die Verfassungsgrundlagen, das ist ein ungeheuer gefährlicher Prozess", sagt Griller. Er mahnt, dass eine Dehnung der Prinzipien langsam das Vertrauen in die Verfassung aushöhlt. Und so ist auch das Forschungsprojekt mit einem großen Ziel angetreten: Lösungen zu finden, die politisch und verfassungsrechtlich machbar sind. (Marlies Stubenvoll, 16.6.2015)