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In Ventimiglia an der französisch-italienischen Grenze wird ein Flüchtling weggetragen. Er hatte vergeblich auf die Weiterreise gewartet.

Foto: AP / Luca Zennaro

Es sind unschöne Szenen vor der Kulisse der schönen Riviera. Auf der italienischen Seite ein paar Hundert Flüchtlinge, auf der französischen Seite ein Kordon aus fast genauso vielen Grenzpolizisten. Sie hindern die jungen Männer aus Eritrea, Syrien oder dem Sudan an der Einreise nach Frankreich. Hinter ihnen demonstrieren Rechtsextremisten gegen die Asylsuchenden.

An sich wäre die Grenze zwischen Italien und Frankreich offen, so wie in den Schengener Abkommen vorgesehen. Normalerweise fahren jeden Tag Zehntausende von Autos unkontrolliert durch die Tunnel zwischen Ventimiglia und Menton. Aber die Migranten lässt Frankreich nicht mehr durch. "Italien muss sich um sie kümmern, so will es das europäische Recht", erklärte am Montag Innenminister Bernard Cazeneuve mit Verweis auf die Dublin-II-Regeln, wonach das "Ersteintrittsland" – wegen der Afrikanähe von Lampedusa häufig Italien - für Asylanträge zuständig ist.

Tausende zurückgeschickt

Cazeneuve begründet die Grenzschließung nicht nur formaljuristisch, sondern auch mit politischen Motiven: "Wir stehen einem Migrationsphänomen gegenüber, dessen Ausmaß im Vergleich zu früheren Jahren beispiellos ist." Seit Anfang des Jahres habe die französische Grenzpolizei 8000 Migranten in Menton registriert und davon 6000 wieder nach Italien zurückgeschickt.

Allein in der letzten Woche schafften es 1400 Flüchtlinge illegal über die Grenze. 1100 wurden zurückbeordert - um es wenig später wie Sisyphus erneut zu versuchen. Früher wurden sie oft im malerischen Zug entlang der Côte d'Azur geschnappt, andere schafften es bis nach Paris und darüber hinaus. Jetzt ist meist schon an der Grenze Schluss. Ein paar Dutzend Migranten übernachten im Bahnhof von Ventimiglia, andere kampieren auf den Felsen vor der Grenze, von wo sie zum Teil von der Polizei vertrieben werden. Das Rote Kreuz verteilt Regenschutze und Nahrung.

Flüchtlingscamps in Paris

Dass die Linksregierung in Paris plötzlich eine härtere Gangart anschlägt und damit faktisch auch die Personenfreizügigkeit immer mehr einschränkt, hat politische Gründe. In Paris sind in letzter Zeit ungeordnete Flüchtlingscamps in Parks und unter Eisenbahnbrücken entstanden - sozusagen vor der Nase der Medien, die über die unhaltbaren Zustände berichten. In Menton hielt die rechtsextreme "Génération identitaire" hinter dem Polizeiriegel Spruchbänder in die Höhe: "Kommt nicht infrage, dass ihr euch in Frankreich niederlasst."

Dabei wollen die Flüchtlinge gar nicht in Frankreich bleiben. Die meisten wollen nach England oder Skandinavien weiter. In Calais am Ärmelkanal stauen sie sich zu Hunderten in Lagern, und jeden Abend versuchen sie, auf einen Sattelschlepper zu springen, der die Fähre nach England nimmt. Doch der Hafen in Calais ist heute gesichert wie eine Festung: In Absprache mit den Behörden in London lassen die Franzosen die Weitgereisten nicht ausreisen. So bleiben sie letztlich in Frankreich, obwohl weder sie noch die Franzosen das wollen. Geflüchtet vor Krieg und Elend, haben sie eine gefährliche Odyssee durch die Wüste und über das Meer, durch ganz Italien und ganz Frankreich hinter sich – um schließlich am Ärmelkanal zu stranden. (Stefan Brändle aus Paris, 17.6.2015)