Zwei Männer mit schwarzen Anzügen und weißen Gesichtsmasken wachen breitbeinig vor der verlassenen Notfallambulanz des Boramae-Spitals. Wer sich ihnen nur auf wenige Schritte nähert, wird freundlich, aber entschieden abgewiesen. Niemand kommt mehr in die Notaufnahme, ganz egal, wie dringend es ist. Vor wenigen Stunden erst hat der Mers-Ausbruch auch das Spital in Seoul erwischt: Bei einem Rettungssanitäter wurde das Coronavirus diagnostiziert, über eine Stunde soll er sich in der Notaufnahme bewegt haben. Seitdem sitzt ein Dutzend Mitarbeiter in Quarantäne.
"Manche Patienten weigern sich derzeit, überhaupt einen Doktor zu sehen" , klagt eine Krankenschwester, während sie durch die menschenleere Wartehalle huscht. Auch wenn sie beteuert, ihre Gesichtsmaske nur kurz für die Mittagspause abgelegt zu haben, scheint sie ganz offenbar wenig Angst vor der Ansteckungsgefahr zu haben. Als sie jedoch den Notizblock des Reporters erhascht, schrecken ihre Pupillen auf. Sie dürfe leider nicht mit Journalisten reden, sagt sie.
Auch ihre Kollegen an der Rezeption verstummen, genau wie die Ärzte: Alle schauen sie nur verlegen auf den Boden, sobald sie jene vier Buchstaben hören, die das gesellschaftliche Klima des Landes seit einem Monat bestimmen. 165 Koreaner sind bisher an Mers erkrankt, bis Donnerstag 23 davon gestorben. Mehr als 6700 Patienten stehen derzeit unter Quarantäne, laut Regierungsangaben werden es in den nächsten Tagen fast doppelt so viele sein.
Präsidentin sagt USA-Besuch ab
Atemschutzmasken sind seither ein üblicher Anblick und Sportstadien schlechter besucht, und ein USA-Besuch von Präsidentin Park Geun-hye wurde kurzfristig abgesagt. Von einer Panik ist das Land dennoch weit entfernt, vor allem weil sich die Infektionen bislang auf die Spitäler beschränken. Die meisten Betroffenen sind Patienten, deren Angehörige oder Pfleger. "Wir sind zuversichtlich, dass sich das Virus nicht innerhalb des Gemeinwesens verbreitet", sagt Kwon Jun-wook von der Gesundheitsbehörde.
Und dennoch hat sich der Erreger in Südkorea weit aggressiver verbreitet als in anderen OECD-Staaten. Das hängt ausgerechnet mit dem Gesundheitssystem zusammen, das medizinisch zu den höchstentwickelten der Welt zählt. Gerade in den renommierten Krankenhäusern warten Patienten oft tagelang in überfüllten Notaufnahmen, um einen Platz zu ergattern. Krankenbetten stehen dicht aneinandergedrängt, und die Patientenzimmer sind voller Besucher. Das Gesundheitsministerium zeigt sich dennoch zuversichtlich, bald die Verbreitung des Virus eindämmen zu können.
"Wenn es mich erwischt, dann soll es halt so sein", sagt Kang Mu-sang, während er eine Zigarette an der leeren Kaffeedose in seinem Schoß ausdrückt. Der Patient sitzt auf einem Rollstuhl vor der Krankenhauseinfahrt und qualmt der Seouler Abenddämmerung entgegen. Für ihn bedeute der Mers-Ausbruch vor allem ein leeres Zimmer und die lange ersehnte Ruhe. "Die Medien bauschen das doch alles nur auf", sagt Kang und zündet sich eine neue Zigarette an: "Hier im Krankenhaus bekomme ich davon gar nicht viel mit." (Fabian Kretschmer aus Seoul, 17.6.2015)