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Einer Studie zufolge geben 60 Prozent der Medienbeiträge die Evidenz zu medizinischen Fragestellungen stark verzerrt (über- bzw. untertrieben) wieder, nur elf Prozent berichten gemäß der tatsächlichen Evidenzlage.

Foto: APA/dpaOliver Berg

Krems – "Grüner Tee schützt vor Krebs", "Schlafmangel verursacht Übergewicht" – Schlagzeilen wie diese halten oft nicht ein, was sie versprechen. Wissenschaftler der Donau-Universität Krems zeigen in einer kürzlich veröffentlichten Studie, wie wenig faktenbasiert österreichische Medien zu Gesundheitsthemen berichten: 60 Prozent der Medienartikel sind stark übertrieben, nur elf Prozent berichten korrekt. Dabei gibt es nur wenige Unterschiede zwischen einzelnen Medien.

"Der Gesundheitsjournalismus in Österreich ist in schlechter Verfassung", resümiert Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin (EbM) und Klinische Epidemiologie der Donau-Uni Krems, die Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten Studie.

Für die Faktencheck-Plattform "Medizin Transparent" analysierte sein Team den Wahrheitsgehalt von 990 Medienartikeln zu Gesundheitsthemen. Die Wissenschaftler überprüften Print- und Web-Artikel in relevanten österreichischen Tageszeitungen, Wochenmagazinen und Online-Medien. 60 Prozent der Artikel berichten stark übertrieben über die Wirksamkeit von Behandlungen und Medikamenten oder die Aussagekraft von Studien. Lediglich elf Prozent der analysierten Artikel stimmen mit der aktuellen wissenschaftlichen Studienlage überein.

Themen, die am häufigsten falsch dargestellt werden

Printmedien berichten genauso häufig übertrieben wie Nachrichtenseiten im Internet. Langmeldungen verzerren die Fakten genauso oft wie Kurzmeldungen. Einen statistisch signifikanten Unterschied, der allerdings relativ gering ausfällt, stellten die Forscher zwischen Boulevardmedien ("Kronen Zeitung" sowie Onlineausgaben von "Heute" und "Österreich") und Qualitätsmedien (Print- und Onlineausgaben von "Salzburger Nachrichten", "Presse" und STANDARD) fest: Hier liegt die Verteilung von über- bzw. untertreibenden Artikeln bei 64 zu 52 Prozent. Alle anderen untersuchten Medien (zum Beispiel "Oberösterreichische Nachrichten", "Kurier", "Tiroler Tageszeitung") liegen zwischen diesen Werten.

An der Spitze der Realitätsverzerrung mit 97,6 Prozent stehen Artikel zu kosmetischen Behandlungen oder Methoden zur Gewichtsreduktion. Behauptungen wie jene, dass leichtes Frieren das Gewicht reduziert, Coenzym Q10 die Haut verjüngen kann und Cremes und enge Kleidungsstücke Cellulite bekämpfen, sind wissenschaftlich nicht belegt.

71 Prozent der Medienmeldungen zu angeblich gesundheitsfördernden Wirkung von Nahrungsergänzungsmitteln und Behandlungen, die auch Nichtmediziner vornehmen dürfen, sind stark übertrieben. Die Palette reicht von elektromagnetischen Wundergeräten über Nahrungsergänzungsmittel zur Therapie von Gelenksbeschwerden bis zu Wandfarben, die angeblich Allergien bessern.

41,1 Prozent der Behauptungen zur Wirkung zulassungspflichtiger Medikamente und Behandlungen, die nur durch Ärzte durchgeführt werden dürfen, sind laut Aussagen der Forscher stark übertrieben.

Zeitmangel als Grund für Medienübertreibungen

"Medien wollen medizinische Forschungsergebnisse für Laien verständlich aufbereiten und vereinfachen daher oft Inhalte. Das kann dazu führen, dass Unsicherheiten über die berichteten Zusammenhänge und Ergebnisse nicht kommuniziert werden", heißt es in der Studie.

"Unsere Ergebnisse legen außerdem nahe, dass die meisten Medien PR-Meldungen von kommerziellen Anbietern weitgehend ungeprüft übernehmen", so Bernd Kerschner, Hauptautor der Studie. "Dass Anbieter von Medikamenten, Nahrungsergänzungsmitteln und medizinischen Behandlungen die Fakten zu ihren Gunsten übertreiben, sollte nicht verwundern."

So zeigt eine französische Untersuchung, dass übertriebene Presseaussendungen in vielen Fällen auch zu übertriebenen Medienberichten führen. "Viele Journalisten haben zu wenig Zeit für eine tiefgehende Recherche und sind davon abhängig, verlässliche Informationen von vertrauenswürdigen Quellen zu bekommen", resümiert Kerschner.

Richtige Fragestellung?

Eine zentrale Frage haben die Studienautoren allerdings nicht gestellt: Jene nach den Urhebern der Studienergebnisse. Diese werden letztendlich von einem Wissenschaftssystem produziert, das es im Wettbewerb um Forschungsgelder und dem damit verknüpften Publikationsdruck mit der Wissenschaftlichkeit anscheinend nicht immer allzu genau nehmen dürfte. Womöglich würde die Kernbotschaft dann lauten: "Nur ein Zehntel des wissenschaftlichen Outputs ist evidenzbasiert." (red, 17.6.2015)