Ohne Perspektive: Ruby (Victoria Schulz) und Martin (Anton Spieker) in Christian Froschs "Von jetzt an kein Zurück".

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Wien - Die Gegensätze sind nicht nur eklatant, sie bringen auch eine eigene Dynamik hervor. Hier die Biederkeit der familiären Enge, die verstockten Moralvorstellungen der deutschen Nachkriegszeit und die Traumata des Krieges; dort die Freiräume, die sich im Miteinander mit Freunden auftun, die Angebote der Popmusik und der von ihr behandelten Gefühlswirren, der Glaube an andere Werte und Lebensmaximen.

Intelligenz zeigt sich vor allem daran, wie gut man sich anzupassen versteht, gibt der Schuldirektor Martin (Anton Spieker) einmal zu verstehen. Für den aufwieglerischen Jugendlichen, der gerne Rimbaud zitiert, gelten andere Grundsätze. Es ist das Jahr 1967 in Deutschland, ein Geist der Veränderung liegt in der Luft, auch wenn er in der Provinz erst eingeschränkt fühlbar wird. Die Generationen gehen in Stellung.

Von jetzt an kein Zurück, der neue Film des in Berlin lebenden Österreichers Christian Frosch (Weiße Lilien), ist ein Drama, das sich für die Perspektive der jüngeren entscheidet. Ihnen gehört die Zukunft, und dies transportiert der Film zunächst einmal als Lebensgefühl, als Rasen der Herzen im Überschwang des Verliebtseins. Martin und Rosemarie (Victoria Schulz) - die sich neuerdings Ruby nennt - sind jedoch ein Paar, das auf Ungnade stößt. Der bigotte Vater des Mädchens (etwas holzschnittartig: Ben Becker) erzieht sie streng katholisch. Wenn es sein muss, schaut er selbst unter den Minirock, um sich zu vergewissern, dass bei der Tochter noch alles intakt ist.

Rigorose Disziplinierung

Der Ausbruch des Liebespaares bleibt deshalb ein kurzes Abenteuer. Christian Frosch hat seinen Film in Schwarz-Weiß gedreht, die aufmerksame Kamera von Frank Amann lässt er in den wenigen glücklichen Momenten wendiger erscheinen, sodass die Bilder die Protagonisten förmlich zu umschmeicheln scheinen. Nicht lange, denn auf den Geschmack der Freiheit folgt eine rigorose Disziplinierungsmaßnahme. Rosemarie wird in ein katholisches Internat geschickt, Martin in die protestantische Anstalt Freistatt, wo junge Menschen als Arbeitskräfte geschunden werden.

Der Spiegel-Autor Peter Wensierski hat das lange verschleppte Leid, das Kindern und Jugendlichen in Deutschland bis in die 1970er-Jahre in solchen Institutionen widerfahren ist, erst Anfang 2000 in seinem ganzen Ausmaß an die Öffentlichkeit gebracht. In Von jetzt an kein Zurück ist die Qual, die die Figuren zu erdulden haben - Rosemarie wird die Nahrungsaufnahme so eingetrichtert, dass sie eine lebenslange Essstörung davonträgt -, ein erzählerischer Angelpunkt. An dieser Stelle endet ihre Unschuld, Rosemarie und Martin werden gebrochen und damit umzugehen haben; beide werden mit Folgeschäden kämpfen.

Der Film hat ein anderes Problem. Denn die Gewalt und Diskriminierung in Klosterschule und Arbeitsanstalt fällt zwar deutlich, in der Darstellung aber auch zu eindimensional aus. Frosch sucht in jedem Moment den scharfen Kontrast. Beweisen die Protagonisten noch in der Defensive Mitgefühl, bleiben die Autoritäten starrköpfig sadistisch. Das geht auf Kosten der Zwischentöne, und mindert auch allmählich die Spannung. Tiefgründigere Charaktere hätten mehr Manövrierraum geschaffen. Das hat schon Fassbinder in seinen Filmen über die strukturellen Verhärtungen der Nackriegsjahre so klug vorgeführt.

Im letzten Drittel behilft sich Frosch mit einem anderen Kunstgriff, er wechselt die Zeitebenen, Rosemaries Zukunft als Schlagersängerin kommt in Farbe hinzu. Der Schritt ist ambitioniert gedacht, doch für die Dreiteilung fehlt es dann doch an Substanz. Die junge Victoria Schulz trifft keine Schuld. Ihr zwischen kindlichem Überdruss und störrischem Aufbegehren changierendes Spiel bleibt bis zuletzt eine der großen Qualitäten dieses Films. (Dominik Kamalzadeh, 16.6.2015)