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Fabio Capello hat als Spieler und Trainer 21 große Titel geholt. Als Teamchef von Russland macht der Friulaner aber keine Meter.

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Russische Fußballfans sind Kummer gewöhnt - die Sbornaja kann sich mit den Kollegen von der Eishockeyfraktion nicht messen. Während diese regelmäßig um WM-Medaillen spielen, liegt der größte Erfolg der Kicker schon lange zurück. 1960 gewann das sowjetische Team um den legendären Goalie Lew Jaschin den Europapokal der Nationen, den Vorläufer der EM. 2008 in Österreich und der Schweiz war für die vom Niederländer Guus Hiddink trainierte Mannschaft mit dem begnadeten Zangler Andrei Arschwin erst im Wiener Halbfinale gegen den späteren Europameister Spanien (0:3) Schluss.

In Polen und der Ukraine 2012 schied Russland hingegen bereits in der Vorrunde gegen Griechenland aus, wonach eilig Fabio Capello angeheuert wurde. Der Italiener ist angesichts fehlender Legionäre in den führenden europäischen Ligen der Star der russischen Nationalmannschaft und soll das Team nicht nur zur EM führen, sondern vor allem für die Heim-WM 2018 zumindest halbfinalreif machen. Ein Jahressalär von angeblich 6,5 Millionen Euro ließen sich die Verantwortlichen die Verpflichtung des 69-jährigen Titelsammlers aus San Canzian d'Isonzo kosten.

Magere Ergebnisse

Die Resultate sind gemessen an den eigenen Ansprüchen mager. Zwar führte Capello die Russen im Vorjahr zur WM, doch dort scheiterten sie erneut kläglich in der Vorrunde. Die Unzufriedenheit in Moskau ist gewaltig. Als der Fußballverband, sich auf Geldnot berufend, mehr als ein halbes Jahr lang Capello das Gehalt schuldig blieb, spekulierten nicht wenige, dass dies auch mit dem Hintergedanken geschehe, den Allenatore rauszuekeln. Am Ende sprang Oligarch Alischer Usmanow in die Bresche und zahlte.

Capello wird angelastet, dass das Spiel der Sbornaja oft durch Lustlosigkeit und fehlende Kreativität gekennzeichnet ist. Ein Generationswechsel wirkt überfällig. Capello setze immer wieder auf die gleichen "satten und trägen Spieler", sagt der russische Sportreporter Igor Rabiner zuletzt. Der gibt die Kritik an die Vereine weiter: "Leider bekommen unsere jungen Spieler wenig Praxis."

Veraltetes Gerüst

Tatsächlich ist das Gerüst der Mannschaft um Kapitän Roman Schirokow bereits jenseits der 30. Als Hoffnungsträger für einen Aufschwung bis zur Heim-WM 2018 taugen Spieler wie Schirokow, die kantigen Verteidiger Wassili Beresuzki, Sergej Ignaschewitsch oder Juri Schirkow und der nur zuweilen lauffreudige Stürmer Alexander Kerschakow nicht.

Dass die Durchführung der WM nun infolge des jüngsten Fifa-Korruptionsskandals wieder infrage gestellt wird, trägt nicht zur Motivation bei. Immerhin hat Jérôme Valcke am Mittwoch in Samara die russische Kandidatur noch einmal als "ehrlich" verteidigt. Allerdings ist der Generalsekretär des Weltverbandes Fifa selbst in der Schusslinie.

Um sich vor dem eigenen Publikum in Bestform zu präsentieren, wäre ein Einspielen bei der Europameisterschaft 2016 Pflicht. Doch in der Qualifikation hat sich die Mannschaft nicht mit Ruhm bedeckt. Gegen Moldawien gab es ein Unentschieden, das Hinspiel gegen Österreich in Wien verlor die Sbornaja mit 0:1.

Flucht in die Jugend

Ausgerechnet vor dem Rückspiel warf Capello nun alle Gewohnheiten über Bord und veranstaltete im letzten Freundschaftsspiel gegen Weißrussland (4:2) einen wahren Debütantenball. So setzte er Nikita Tschernow in der Abwehr ein. Der 19-Jährige hat es selbst bei seinem Verein ZSKA Moskau noch zu keinem Spiel in der russischen Premjer-Liga schaffte. Das Risiko hat sich gelohnt. Tschernow spielte weitgehend solide. Zwei weitere Neulinge, Alexandr Golowin und Alexei Mirantschuk, drehten nach ihrer Einwechslung mit Toren das zwischenzeitliche 1:2.

Nun ist Capello in der Zwickmühle. Gegen Österreich, in der durch 44.000 Menschen ausverkauften Otkrytije-Arena von Spartak, muss er sich zwischen den Erfahrenen und den jungen Wilden entscheiden. Wenn es schiefgeht, sind Capellos Tage gezählt. Rückhalt im eigenen Team hat er offensichtlich keinen. "Die Stimmung um die Mannschaft ist derzeit eindeutig negativ. Wir sind kein Topteam", sagte selbst Capellos Assistent Sergei Semak. (André Ballin aus Moskau, 13.6.2015)