Wolfgang Jeschke, 1936-2015.

Foto: Heyne/privat

München - Die Welt der deutschsprachigen Science Fiction hat ihren langjährigen Mittelpunkt verloren: Wolfgang Jeschke, der als Autor und Herausgeber das Genre im deutschsprachigen Raum über Jahrzehnte geprägt hatte, ist am Mittwoch im Alter von 78 Jahren in München gestorben, wie der Heyne-Verlag bekannt gab.

Herausgeber-Legende

1936 in Tetschen im heutigen Tschechien geboren und in Baden-Württemberg aufgewachsen, studierte Jeschke in München Germanistik, Anglistik und Philosophie. Nach seinen ersten Anfängen im Verlagsgeschäft wurde rasch Jeschkes Expertise im damals gerade aufstrebenden Genre der Science Fiction erkannt. Zunächst beim Lichtenberg Verlag und ab 1972 schließlich bei Heyne kuratierte Jeschke SF-Reihen.

Mit der Veröffentlichung internationaler wie auch deutschsprachiger Autoren und nicht zuletzt der Herausgabe von über 100 Anthologien prägte Jeschke das Science-Fiction-Bild einer ganzen Generation. Seine Position bei Heyne füllte er bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2002 aus. Auch danach fungierte er aber noch als Mitherausgeber des seit 1986 bestehenden "Science Fiction Jahrs", eines im deutschsprachigen Raum in Umfang und Inhalt einzigartigen Almanachs des jährlichen Geschehens im SF-Genre. Die letzte Ausgabe bei Heyne erschien im vergangenen Jahr, seit heuer wird die Reihe im Golkonda-Verlag weitergeführt.

Autor mit Haltung

Jeschke war aber auch als Schriftsteller erfolgreich - und einer der wenigen deutschsprachigen SF-Autoren, deren Werke auch ins Englische übersetzt wurden und damit auch in den Ländern erschienen sind, deren SF-Produktion seit jeher den hiesigen Markt dominiert. So etwa sein 1981 erschienenes "Der letzte Tag der Schöpfung", ein Zeitreiseroman mit origineller Grundidee: Die USA schicken Arbeiterkolonnen in die ferne Vergangenheit, um dort mit Pipelines das Öl aus in der Gegenwart politisch brisant gewordenen Regionen in günstigere umzuleiten.

Ebenfalls eine Zeitreise-Thematik hatte sein 2005 erschienenes "Das Cusanus-Spiel": Ein komplexes Panorama aus der nahen Zukunft, in dem Italien unter Klimawandel und Massenmigration zusammengebrochen ist, weite Teile Deutschlands durch einen Nuklearunfall unbewohnbar wurden und Österreich unter Führung einer rechten Partei zu einer Art erzreaktionärem k.u.k.-Disneyland verkommen ist.

Gleichermaßen politisch war auch Jeschkes nach einer Reihe von hervorragenden Kurzgeschichten und Romanen letztes veröffentlichtes Werk: Das 2013 erschienene "Dschiheads" ist eine Abrechnung mit den Auswüchsen der Religion - für Jeschke "ein Verhängnis der Menschheit" -, dargestellt anhand einer extremistischen Sekte, die auf einen unwirtlichen Planeten verbannt wurde.

Herausragende Stellung

Für "Dschiheads" erhielt Wolfgang Jeschke im Vorjahr noch einmal den Kurd-Laßwitz-Preis. Insgesamt wurde ihm dieser renommierteste deutschsprachige SF-Preis achtzehnmal verliehen - eine Anerkennung, die unterstreicht, wer und was Wolfgang Jeschke war: Nicht weniger als die zentrale Figur der deutschsprachigen Science Fiction. (jdo, 12.6. 2015)