Premier David Cameron gerät wegen des EU-Referendums in seiner eigenen Partei unter dem Druck.

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Ein Fotosujet ganz nach dem Geschmack der britischen EU-Gegner: Die Einbahnstraße in der Londoner City, in der auch das Europahaus liegt, kann für sie nur eine Richtung haben: hinaus aus der Europäischen Union.

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Das Wahlversprechen ist erfüllt: Großbritannien hält zum zweiten Mal nach 1975 ein Referendum über den Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft ab. Doch trotz des historischen und mit 544:53 Stimmen eindeutigen Votums im Unterhaus stand Premier David Cameron auch am Mittwoch wieder unter dem Druck der eigenen Partei. Die Nein-Sager drängen ihren Parteivorsitzenden dazu, die Regierung bei der spätestens Ende 2017, möglicherweise aber schon im kommenden Jahr anstehenden Volksabstimmung auf Neutralität zu verpflichten. Dabei wird es um Zugeständnisse gehen, die der 48-Jährige bei den bevorstehenden Verhandlungen mit Brüssel erzielen will. "Da kann die Regierung nicht neutral sein", sagte Cameron.

Die politischen Flitterwochen nach seinem überzeugenden Wahlsieg vor Monatsfrist, der ihm allerdings nur eine knappe Mehrheit im Parlament bescherte, sind für den Premierminister damit vorbei. Nach heftiger Kritik vom rechten Flügel musste Cameron zu Wochenbeginn zurückrudern von einer für seine Verhältnisse erstaunlich klaren Ansage: In seiner Regierung könne nur bleiben, wer ihm in der Europapolitik den Rücken stärke. Am Dienstag verdeutlichte die Debatte über das Referendumsgesetz im Unterhaus das tiefe Misstrauen, das Cameron und seinem Team aus den Reihen der EU-Feinde entgegenschlägt. Vergeblich beschwor Außenminister Philip Hammond die Einigkeit seiner Partei mit der Bevölkerung: "Die große Mehrheit will, dass Großbritannien in der reformierten EU bleibt."

Derzeit Pro-EU-Mehrheit

Jüngste Umfragen deuten tatsächlich auf einen Stimmungswandel hin. Anders als zu den schlimmsten Zeiten von Wirtschaftskrise und Unsicherheit über den Euro würden derzeit 55 Prozent der Briten für den Verbleib im Klub stimmen, 36 dagegen, der Rest gibt sich unentschlossen.

Entschlossenheit herrscht hingegen bei den langjährigen Befürwortern des Austritts. Am Wochenende stellte sich eine Gruppe von mehr als 50 Tory-Hinterbänklern, die dieses Ziel verbindet, öffentlich vor. Mit dem Namen "Conservatives for Britain" mussten sie provozierend wirken auf all jene Parteifreunde, für die ein gesunder Patriotismus mit der Mitgliedschaft in der EU vereinbar ist. Als "moderate Forderung" bezeichnete Sprecher Steve Baker die Vorstellung der Europaphobiker, das Parlament solle "Souveränität über sein eigenes Territorium" haben. Logische Folgerung: Westminster müsse künftig ein Vetorecht gegen jegliche EU-Bestimmung erhalten.

Das sei "nicht erreichbar", teilte der selbst als Skeptiker der europäischen Integration bekannte Außenminister Hammond umgehend in BBC mit: "Das wäre praktisch das Ende der EU." Stattdessen will die Regierung offenbar eine Erweiterung des bereits bestehenden Systems erreichen, wonach eine Gruppe nationaler Parlamente neuen Vorschriften aus Brüssel die gelbe oder sogar rote Karte zeigen könnte.

Gegen "Sozialtourismus"

Außerdem hat Cameron Einschränkungen des angeblich weitverbreiteten "Sozialtourismus" versprochen, um die Zuwanderung aus Mittel- und Osteuropa zu bremsen. Der Regierungschef selbst betont bei jeder Gelegenheit, wie optimistisch er den Verhandlungen mit Brüssel entgegensehe.

Die Interimsführung der Labour-Party hat seit der Wahl eine Kursänderung vollzogen: Die Fraktion stimmte für die Volksabstimmung, die der zurückgetretene Vorsitzende Edward Miliband im Wahlkampf noch abgelehnt hatte. Man werde aber zugunsten des EU-Verbleibs argumentieren, erläuterte die amtierende Parteichefin Harriet Harman. Außerdem will Labour gemeinsam mit den SNP-Nationalisten aus Schottland eine Neuerung durchsetzen, die sich beim dortigen Referendum bewährt hat: Anders als bei Unterhauswahlen sollen auch 16- und 17-Jährige abstimmen dürfen. (Sebastian Borger aus London, 10.6.2015)