Auch, weil man sich da nicht über das Wetter ärgern muss – und Verlaufen nur sehr schwer wirklich gefährlich werden kann

Eigentlich sollte hier heute eine ganz andere Geschichte stehen. Eine über ein Schüppel Helden aus der ganzen Welt, das am 21. Juni, also am längsten Tag des Jahres, der Sonne nachlaufen wird. Zwei österreichische Athleten werden bei dem von einem Laufschuhhersteller veranstalteten Lauf "Beat the Sun" ebenfalls dabei sein – und ich. Aber nur als Zuschauer: Um bei einem hochalpinen Trail-Wettkampf in Chamonix, dem europäischen Mekka der Trail-Szene, aktiv mitspielen zu können, fehlt mir so ziemlich alles, was man dafür braucht.

Um das zu illustrieren, wollte ich eigentlich hier und heute die beiden Ö-Läufer vorstellen. Bloß ist mir der eine kurzfristig abhandengekommen: Der Extremläufer Christian Schiester (Bild) ist nämlich gerade in Griechenland, um dort mit einem Rudel Manager Survivaltraining zu üben.

Foto: Christian Schiester

Also Plan B: Eine Laufgeschichte aus ganz und gar nicht weit weg. Und mit dem Gegenteil von Sonne als Leitmotiv. Aber das macht nix. Mir zumindest: Gatschhüpfen im Wiener Umland ist nämlich fein. Und auch wenn Traillaufen medial meist als hochalpines Spiel transportiert wird: Der Wienerwald kann was. Eine ganze Menge sogar, das haben sogar meine kernigen Tiroler Bergführerfreunde mittlerweile zugegeben: "Da kann man schon ordentlich Höhenmeter machen."

Foto: Thomas Rottenberg

Mein Standard-Trail beginnt am Steinhof. Weil man dort mit den Öffis super hinkommt und man das Warm-up, den ersten Weg bergauf zur Otto-Wagner-Kirche, ganz nach Lust und Laune leicht und länger oder direkt, stufig und steiler gestalten kann. Außerdem ist die Kirche, die dem "Lemoniberg" seinen Namen gab, einfach wunderschön. Also eine erste Belohnung.

Foto: Thomas Rottenberg

Weiter geht es dann, eh klar, rauf zur Feuerwache. Quer über die ehemaligen Flak-Wiesen und ein bisserl flacher und bevölkerter: Hier ziehen an schönen Tagen zahllose Läuferinnen und Läufer ihre Runden, allerdings meist bei schönem Wetter.

Wenn es so wie am Pfingstsonntag, als diese Bilder entstanden, nass, kühl und grau ist, ist man weitestgehend alleine. In der Früh sowieso. Das hat was.

Foto: Thomas Rottenberg

Außer, man ist selbst noch nicht wirklich wach: Eigentlich wollte ich rauf zur Jubiläumswarte und von dort die Mountainbikestrecken zum Hameau und weiter Richtung Cobenzl laufen. Eigentlich. Aber das Dilemma von "Heimstrecken" ist, dass man (okay, ich) da scheinbar manchmal schlafwandelt: Wie ich es schaffte, bei der Feuerwache die Abzweigung zur Warte zu übersehen, verstehe ich bis heute nicht. Und wieso ich das erst merkte, als ich vor dem Schloss Wilhelminenberg auf die Stadt runterschaute, auch nicht.

Foto: Thomas Rottenberg

Nur: Zurücklaufen ist halt auch blöd. Bezeichnenderweise heißt die Stiege, die vom Wilhelminenberg zumindest in Richtung Hameaustrecke zeigt, "Eseltiege". Oder so ähnlich. Noch blödererweise kenne ich mich in dem Eck aber genau gar nicht aus – und so joggte ich am Fuß des Heuberges dann planlos durch irgendwelche Siedlungen und Schrebergartenanlagen, bis ich endlich, endlich wieder im Wald stand.

Andererseits: Hätte ich mich nicht verlaufen, hätte ich wohl nie vom tragischen Schicksal des "ehrsamen Jünglings Richard Bambula" erfahren. Und ich steh' auf derartige Wissenserweiterungen.

Foto: Thomas Rottenberg

Denn das – softe – Verlaufen ist für mich mit das Schöne am Gatschhupfen: Dort, wo man immer links abbiegt, einfach mal geradeaus weiter und schauen, was kommt. Im Wienerwald kann da zwar nicht wirklich viel passieren (ganz im Gegensatz zum Gebirge), trotzdem würde ich gerade bei offiziell (und in meinen Augen zu Unrecht) als "schlecht" bezeichnetem Wetter niemandem empfehlen, ganz ohne Notgepäck unterwegs zu sein: Irgendwas trockenes Wärmendes, zwei Müsliriegel, Aludecke, Mütze, Handy und Trillerpfeife im Rucksack (und zwar alles im Nylonsackerl!) wiegen zusammen kein halbes Kilo, können aber einen echten Unterschied machen.

Foto: Thomas Rottenberg

Ein Umknöchler genügt, und wenn man, statt zu laufen, (noch) humpelt, wird es in durchschwitzten Sachen sehr rasch sehr kalt.

Ja, auch im "harmlosen" Wienerwald: Ich habe auf dem gesamten Lauf keine Menschenseele getroffen. Das ist wunderschön, aber eben nur, solange man keine Hilfe braucht.

Foto: Thomas Rottenberg

Vom Heuberg kann man entweder gemütlich auf breiten Forstwegen in Richtung Hernals, Schwarzenbergpark und Hameau laufen oder ein paar "Trails" folgen. Mountainbikespuren sind in der Regel eine sichere Bank für schnelle und spannende Strecken, aber Vorsicht: Wer sich vor Brennesseln und Dornen fürchtet (oder hier den Bikern, die diesmal nicht kamen, nicht unaufgefordert Platz machen will), sollte lieber auf den breiteren Wegen bleiben.

Ich meine: Die schmalen, steilen Wegerln sind die paar Kratzer allemal Wert. Und wenn ein paar Brennesseln für eine etwas intensiverer Durchblutung der Haut sorgen, ist das ja angeblich sogar gesund.

Foto: Thomas Rottenberg

Irgendwann kommt man dann auf der Schwarzenbergallee raus. Stadteinwärts ginge es zur Straßenbahn, stadtauswärts zur Marswiese – und dann entweder zurück über Hanslteich oder Schottenhof oder rauf aufs Hameau.

Davor kommt aber das Erinnerungsgraffiti an Österreichs bekanntesten Tagger der Kaiserzeit: Herr Kyselak dürfte in etwa das gewesen sein, was Puber vor ein paar Jahren war. Die Legende besagt, dass er, nachdem Franz Josef bei der Enthüllung einer Brückeneröffnungstafel ein "Kyselak" über der doch seine kakanische Hoheit ehren sollenden Inschrift sehen musste, zur persönlichen Standpauke zu Kaisers vorgeladen worden sei.

Foto: Thomas Rottenberg

Alleine das wäre eine feine Geschichte. Aber die Legende, erinnerte ich mich, während ich zum Hanslteich abzweigte, geht weiter: Nach dem Rüffel soll Kyselak Besserung gelobt haben. Doch als man den Tisch wegtrug, an dem der kecke Tagger gesessen hatte, soll den Dienern der Atem gestockt sein: "Kyselak", heißt es, sei da an die Tischkante gekritzelt gestanden.

Ob das stimmt? Keine Ahnung. Nur: auch wenn nicht, ist die Geschichte trotzdem zu schön, um sie nicht weiterzuerzählen.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich hatte beschlossen, zurück zu laufen. Weil ich keine Lust hatte, dreckig und patschnass dann einen längeren als unbedingt notwendigen Weg mit den Öffis nach Hause zu haben. Solange man in Bewegung ist, sind Nässe und Kälte egal – aber dass die Wiener Linien ihre Flotte sukzessive auf klimatisierte Fahrzeuge umstellen, kann an solchen Tagen nach dem Laufen ein echter Grund sein, möglichst wenig Zeit in Bim, Bus oder U-Bahn zu verbringen. (Beschwert haben sich darüber bisher übrigens immer nur just Leute, die selbst mit Döner und Bierdose in der Hand und halb gerauchter Tschick hinterm Ohr die Straßenbahn entern ...)

Foto: Thomas Rottenberg

Heimwärts ging es über die gewohnte Route. Also nicht am Schloss vorbei, sondern knapp unterhalb der Jubiläumswarte zur Feuerwache und dann über die Steinhofgründe und an der Otto-Wagner-Kirche vorbei zurück auf Krankenhausgelände.

Und dort war dann kurz Pause: beim Mahnmal zur Erinnerung an die Kinder vom Spiegelgrund. Da einen Stein als Zeichen des Nichtvergessens abzulegen gehört sich. Für mich. Doch es tut jedes Mal gut zu sehen, dass das auch andere Menschen tun.

Foto: Thomas Rottenberg

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Der Lauf diente auch dazu, den Trailschuh "Feline X7" von Dynafit zu testen: Grip, Passform und Verarbeitung überzeugten mich. Auffällig an dem Schuh ist vor allem die anfangs gewöhnungsbedürftige Schnürung per Drehrad ("Boa Lacing System"). Ich habe den Schuh nach dem Lauf zuerst gewaschen – und dann gekauft.

Auch der Trailrucksack S-LAB ADV SKIN3 12 von Salomon war hier auf der "Teststrecke" und bewährte sich. Dazu kommt aber demnächst eine eigene Laufrucksack-Testgeschichte. (Thomas Rottenberg, 10.6.2015)

Foto: Thomas Rottenberg