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Alle sterben, nicht alle erben, doch die meisten hinterlassen irgendetwas - und hier beginnt das Erbrecht zu greifen. Es stammt aus dem Jahr 1811 und ist schwer reformbedürftig. Jetzt wird einiges geändert, aber Kritikern fehlt ein schlüssiges Konzept hinter der Reform.

Foto: APA/Fohringer

Wien - Unverheiratet schwanger zu werden ist eine Tragödie, Schwulsein ist strafbar, Scheidungen gibt es nicht, und hochbetagt ist, wer den 60. Geburtstag feiert: Alltag im Jahr 1811. Aus diesem Jahr stammt auch das österreichische Erbrecht, das seither gültig ist und nur in Details verändert wurde. Eine große Reform wäre daher höchst an der Zeit, meinen viele - und der Justizminister ist überzeugt, eine solche vorgelegt zu haben: Ein Entwurf befand sich bis 4. Mai in Begutachtung, und eine angepasste Regierungsvorlage werde "demnächst" im Nationalrat landen, kündigte Minister Wolfgang Brandstetter Mitte Mai an.

Alte Norm in neuer Sprache

Experten sehen im bisher vorgelegten Gesetzesvorhaben jedoch keinen großen Wurf. "Die Reform schaut größer aus, als sie ist", meint etwa der Zivilrechtsprofessor Martin Schauer von der Universität Wien. Es handle sich großteils um "alte Bestimmungen in einer neuen Sprache", so Schauer, der das Streben nach zeitgemäßer Formulierung aber ausdrücklich lobt: Da nicht nur Juristen einmal sterben, sondern alle, sollte der Text so verständlich wie möglich formuliert sein.

Einfach liest sich der Text zwar auch jetzt nicht. Manche meinen gar, dass Bürger ihn weiterhin nicht verstehen, Juristen mit den neuen Ausdrücken aber auch nichts mehr anzufangen wissen.

Doch auch inhaltlich gibt es Neuerungen. Überwiegend gelobt wird, dass bei einer Scheidung oder Trennung vom Partner künftig auch dessen testamentarisch verankerter Erbanspruch erlischt. Bisher galt: Wer sich vom Partner trennte, aber nicht daran dachte, das Testament zu ändern, überließ öfters einen bedeutenden Teil dem Verflossenen, obwohl das Verhältnis zum Todeszeitpunkt bereits deutlich abgekühlt war.

Neu ist auch, dass pflegende Angehörige künftig im Verlassenschaftsverfahren berücksichtigt werden. Sie erhalten, meist zusätzlich zum gesetzlichen Erbe, eine Abgeltung ihrer Pflegeleistung, sofern sie sich in den letzten drei Jahren vor dem Tod um den Verstorbenen gekümmert haben.

Streit unter Pflegenden

Das könnte für einigen Streit sorgen - etwa dann, wenn zwei Angehörige sich die Pflege aufgeteilt haben. Im Gesetzesentwurf steht nämlich, dass "eine Person" die Abgeltung verlangen kann - und nicht mehrere. Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz kritisieren das: Schon jetzt sei es schwierig, Angehörige zu motivieren, sich die Pflegearbeit besser aufzuteilen. Künftig würde es auch noch gesetzlich legitimiert, dass die Arbeit an einer Person hängenbleibt. Zudem werden jene Angehörigen, die nicht gepflegt haben, bemüht sein, den Arbeitsaufwand der oder des Pflegenden möglichst gering zu schätzen, da die Abgeltung ja ihr eigenes Erbe mindert: Emotional belastende Auseinandersetzungen sind programmiert.

Für Streit sorgte schon bisher das Thema Pflichtteil, und Kritiker befürchten, dass künftig noch erbitterter gefochten wird. Der Pflichtteil kommt dann zum Zug, wenn der Erblasser im Testament beispielsweise sein Kind übergangen hat, weil die Beziehung seit Jahrzehnten nicht mehr aufrecht war. Das Gesetz gesteht den Menschen hier keine Wahlfreiheit zu: Egal, was im Testament steht - das Kind, der Partner oder die Partnerin erbt. Wie hoch dieses Erbe ist, sorgt oft für Streit: Schenkungen vor dem Tod werden nämlich angerechnet, und dadurch erhöht sich der Anspruch der anderen Erben. Das Justizministerium tüftelt an Fristen, die bestimmen, wann ein solches Geschenk "verjährt" ist und nicht mehr angerechnet wird. Wie sie ausfallen werden, wird die Regierungsvorlage zeigen. Vereinfacht gesagt: je länger die Frist, desto mehr Streit unter den Hinterbliebenen.

Erbstreitigkeiten vor Gericht sind in der Lage, das gesamte geerbte Vermögen aufzufressen. Die Immobilienblase hat dies noch begünstigt: Da sich Anwaltshonorare nach dem Streitwert richten und die Immobilienpreise in den letzten 15 Jahren stark angestiegen sind, dürfen sich Rechtsanwälte in einem typischen Erbstreitfall - der Frage, wem das elterliche Einfamilienhaus gehören soll - heute über deutlich höhere Einkünfte freuen als früher.

Dass die österreichische Reform dem Pflichtteil künftig noch mehr Raum gibt als früher, widerspreche dem internationalen Trend, sagt Schauer, der sich hier "erheblich mehr Liberalisierung" gewünscht hätte.

Eine aus Sicht der Wirtschaftskammer gute Nachricht bringt das neue Erbrecht für Klein- und Mittelbetriebe. Künftig müssen Personen, die einen Betrieb erben, die anderen Erben nicht sofort auszahlen, wenn dies den Fortbestand des Unternehmens gefährden würde - eine Ratenzahlung kann vereinbart werden.

Das groß angekündigte Erbe für Lebensgemeinschaften, also für nicht verheiratete und nicht eingetragene Lebenspartner, wird es so nicht geben. Das Gesetz sieht lediglich vor, dass Lebenspartner dann etwas bekommen, wenn das Vermögen sonst an den Staat gehen würde - also dann, wenn es überhaupt keine Verwandten gibt. In der Praxis kommt das praktisch nie vor.

Viele neue Wörter

Kritikern fehlt im Gesetzesvorhaben der einheitliche Guss. "Es ist gerade im Pflichtteilsrecht kein klares Konzept erkennbar", meint etwa Zivilrechtsprofessor Christian Rabl von der Universität Wien. Das könnte auch am Zeitdruck liegen: Die Novellierung war notwendig, weil eine EU-Verordnung Anpassungen verlangte - und diese Verordnung tritt Mitte August in Kraft. Dieser Anpassungsbedarf betrifft aber nur einzelne Bestimmungen - der große Rest der Reform werde nun ohne Not mit "überfallsartigem Tempo" durchgepeitscht, kritisiert Rabl.

Dass viele Änderungen rein sprachlicher Natur sind, sei problematisch, weil jede Neuformulierung zu einer neuen Deutung zwingt. Anders gesagt: Noch weiß niemand, wie die Judikatur diese neuen Termini auslegen wird. Was die Reform wirklich bringt, wird also möglicherweise erst in vielen Jahren geklärt sein. (mas.6.2015)