Die Jetlag-Gefahr ist wohl eher gering: Um eine Sekunde müssen wir unsere Uhren am 1. Juli zurückstellen, wenn wir ganz genau sein wollen. Denn heuer ist es wieder so weit: Alle zwei bis drei Jahre beschließt der internationale Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (IERS) die Einführung einer Schaltsekunde. Am 30. Juni folgt auf 23:59:59 UTC (Koordinierte Weltzeit) 23:59:60, ehe der Juli beginnt. Nach Mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) erfolgt die Umstellung erst am 1. Juli um 01:59:59.

Für Astronomen, Betreiber von Satelliten-Navigationssystemen und andere Dienste, die mit hochpräziser Himmelsbeobachtung arbeiten, ist das wichtig. Aus wissenschaftlicher Sicht wären Schaltsekunden heute aber eigentlich nicht mehr nötig, sagt Johannes Böhm von der TU Wien.

Lunare Bremswirkung

Die Länge des Tages ist an die Rotation der Erde um ihre eigene Achse gekoppelt, und diese Rotation wird im Lauf der Zeit immer langsamer. Ab und zu wird daher eine Zusatzsekunde eingeführt, damit die offizielle Zeit und die Rotation der Erde nicht immer weiter auseinanderlaufen.

Der Grund für die Verlangsamung der Erdrotation ist die Gezeitenkraft des Mondes. "Der Mond dehnt die Erde ein bisschen. Es bilden sich Flutberge aus, und auch die feste Erde wird verformt", so Böhm. Allerdings kann die Erde aufgrund ihrer inneren Reibung die Verformung nicht augenblicklich ändern, wenn sie sich weiterdreht. Daher zeigt die entstehende Ausbuchtung nicht exakt in Richtung Mond, die Verformung wird durch die Erdrotation immer ein bisschen vom Mond weggedreht.

"Diese Asymmetrie bewirkt, dass der Mond ein Drehmoment auf die Erde ausübt und die Rotation der Erde ein kleines bisschen bremst", sagt Böhm. Gleichzeitig wandert der Mond dabei immer weiter von der Erde weg.

Schmelzende Polkappen

Neben der Gezeitenkraft des Mondes gibt es aber auch andere Effekte, die Einfluss auf die Rotationsgeschwindigkeit der Erde haben – etwa die Gewichtsverlagerung durch das Abschmelzen des Eises an den Polen. Forschungsinstitute auf der ganzen Welt, darunter auch die TU Wien, werten die Orientierung der Erde und somit die präzise Tageslänge laufend aus. "Die Orientierung der Erde kann man durch genaue Vermessung ferner Himmelskörper bestimmen, so erreichen wir mittlerweile eine Genauigkeit im Bereich von Mikrosekunden", so Wissenschafter.

Diese hohe Präzision sei aber auch der Grund dafür, dass die Schaltsekunde eigentlich schon obsolet wäre, meint Böhm: In vergangenen Zeiten benötigte man in der astronomischen Forschung die Schaltsekunde tatsächlich, um Messdaten exakt vergleichen zu können.

Schaltminute als Alternative?

Doch nachdem man heute ohnehin mit viel höheren Genauigkeiten arbeite, habe man in der Forschung längst keine andere Wahl mehr als komplizierte Korrekturen mit Mikrosekundengenauigkeit zu berücksichtigen, egal ob Schaltsekunde oder nicht - zumindest, wenn man nicht jede Minute eine "Schaltmikrosekunde" einführen möchte.

Böhm plädiert daher für die Abschaffung der Schaltsekunde. Im Grunde wäre es kein Problem, länger zu warten, und dann nach einigen Jahrzehnten eine ganze Schaltminute einzufügen, so der Wissenschafter. (red, 8.6.2015)