Auf dem roten Krönungsläufer herrscht in "Kings of War" einiges Gedränge: Vorne erhält Herzog York (Bart Slegers, re.) die englische Königskrone samt Hermelinmantel zugesprochen.

Foto: Jan Versweyveld

Wien - Eine Galerie von Lichtbildern ersetzt die Ahnentafel. Englands gekrönte Häupter sausen im Schnelldurchgang vorüber. Ein weiter Weg führt hinab in die Geschichte der englischen Königshäuser. Etwa beim vierten Heinrich kommt der Projektor zum Stehen: Kings of War nennt sich Ivo van Hoves Inszenierung von Shakespeares Königsdramen.

Die Wiener Festwochen genießen das Erstrecht an dieser rund fünfstündigen Produktion der Toneelgroep Amsterdam. Autor Rob Klinkenberg hat Texte aus Henry V., Henry VI. sowie aus Richard III. in ein makellos klingendes Holländisch übertragen. Noch schwerer aber wiegt die Zeitgenossenschaft. In der Halle E des Wiener Museumsquartiers steht ein "war room". Ausstatter Jan Versweyveld hat den Königsbunker angeblich dem Hauptquartier Winston Churchills nachempfunden. Ausgerechnet das 20. Jahrhundert soll Pate stehen für die Blutfehde zwischen den Häusern Lancaster und York.

Der Leichnam des letzten Königs, des vierten Heinrich, ist noch nicht kalt, da wird bereits der rote Läufer für seinen Nachfolger ausgerollt. Das Rad der Geschichte dreht sich schon wieder. Die Fürsten stürzen sich wie Hyänen aufeinander. Henry V. (Ramsey Nasr) ist der instinktgeleitete Vorzugsschüler. Im Pflichtfach "Kriegskunst" gebührt ihm eine dicke Eins. Sein Angriff auf Frankreich ist ein voller Erfolg. Dafür macht er beim Candle-Light-Dinner mit der französischen Prinzessin eine etwas unbeholfene Figur. Macht nichts, er zeugt rasch einen Kronprinzen und stirbt ein wenig übereilt an der Ruhr.

Mit dem Spross seiner Lenden, Henry VI. (Eelco Smits), verhält es sich von Anfang an umgekehrt. Dieser kleinwüchsige Mann mit dem Charisma eines Hilfsbuchhalters ist nahe am Wasser gebaut. Anstatt seiner Braut Margaret (Janni Goslinga) beizuwohnen, schlüpft er in den Pyjama und empfiehlt seine Seele dem Herrgott. Es ist dieser Kinderkönig das einfachste Opfer für die Reißzähne der Lords.

Man hat zu diesem Zeitpunkt van Hoves künstlerisches Konzept bereits gut durchschaut. Das Königshauptquartier ist eine bequeme Wohnlandschaft. Es gibt neben einigen Computeranschlüssen Fließwasser, auf einer Empore stimmen vier Posaunisten eine ebenso feierliche wie nachdenkliche Musik an (Komposition: Eric Sleichim). Ein Countertenor schwelgt in eitel Wohllaut. Die eigentlichen Gänge und Schleichwege der Macht sind uneinsehbar. Sie liegen als aseptisch weiße Korridore der portablen Kamera zu Füßen.

Gift in die Venen

Hier, im Verborgenen, befindet sich das eigentliche Arkanum der Macht. Hier lungern die Soldaten herum, die Papa Henry V. so überzeugend wachzurütteln versteht. Hier werden im Verlauf eines allzu langen Abends auch die Herzen ausgeschüttet. Überflüssigen Rivalen auf den Thron wird Gift in die Venen gejagt. Manch schöne Hoffnung endet auf der Bahre.

Man fühlt sich leidlich unterhalten. Die Kamera weiß stets Bescheid, ihre Close-ups enthüllen jede königliche Pore. Man überschlägt im Stillen aber auch die Kosten, die für diese postmoderne Unternehmung zu entrichten sind. Für die christologischen Tönungen des Shakespeare-Stoffes ist van Hoves Inszenierung taub. Im ganzen Jammer des unglücklichen sechsten Heinrichs steckt der Vorschein einer Heiligenlegende. Es hat, kurz gesagt, nicht immer derjenige recht, der am Ende auch die Oberhand behält.

Kings of War bricht das Getümmel der englischen Frühzeit auf die Logik der Fernsehserie herunter. Der Blutdurst von Shakespeares Figuren wird mit einem tüchtigen Schluck Alltagspsychologie gelöscht. Man raucht in Polstermöbeln führender Einrichtungshäuser bequem ein paar Zigaretten herunter. Und so wird ausgerechnet das große Finale, die Mordtour des dritten Richard (Hans Kesting), zur quälenden Selbstbespiegelung eines Stadttheaterkönigs. Komplett nur mit Video-Ebenbild. Das Publikum freilich war es zufrieden. (Ronald Pohl, 8.6.2015)