Verzauberte auch in Mülheim: Elisabeth Ort (li.) als "die unverheiratete" (mit Christiane von Poelnitz).

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Mülheim - Überraschend ist es dann doch, dass der unverheirateten von Ewald Palmetshofer der Mülheimer Dramatikerpreis für das beste Stück des Jahres zugesprochen wurde. Eine Vorführung unmittelbar vor der öffentlichen Jurysitzung ist sonst keine günstige Ausgangslage. Das Gastspiel des Burgtheaters war die letzte Aufführung des dreiwöchigen Festivals. Die Einschätzung der Juroren hat sich zu diesem Zeitpunkt in der Regel schon gefestigt. Auch hatte eine Jurorin, Dagmar Walser, Palmetshofers Drama sogar in die Liste jene Werke einzureihen versucht, die für sie nicht preiswürdig sind.

Vielleicht ist es das Publikumsgespräch nach der Aufführung gewesen, das in letzter Minute überzeugte: Burgschauspielerin Elisabeth Orth insbesondere, die zeigte, wie präzise sie sich in der Rolle der 96 Jahre alt gewordenen Denunziantin eingelebt, wie souverän sie sich Palmetshofers Vorlage angeeignet hatte. Die unverheiratete geht auf einen Gerichtsprozess in Nachkriegsösterreich zurück. Damit liegt Palmetshofers Stück im Trend: Alle sieben für Mülheim nominierten Werke haben journalistische Recherchen als Basis. Private Beziehungskonflikte scheinen als Dramenstoff ausgedient zu haben.

Manchmal muten ja die ehrwürdigen Mülheimer Theatertage ja wie ein Volkshochschulkurs an, an dem man die Entwicklung der Gegenwartsdramatik diskutiert. In den 40 Jahren ihres Bestehens haben sie ein treues Publikum herangezogen, das beflissen nachfragt. Elfriede Jelinek ist dort sehr gut bekannt. In den letzten 30 Jahren war sie 17 Mal nominiert und wurde vier Mal prämiert. Ihre Schutzbefohlenen sind dieses Jahr zwar der politisch ambitionierteste Text, und der Bremer Generalintendant Michael Bögerding hielt als Juror auch ein leidenschaftliches Plädoyer für ihn. Doch man wollte offensichtlich nicht schon wieder mit einem Preis auf Jelinek aufmerksam machen, abgesehen davon, dass ihre "ungehörte" Klage über die Asylsuchenden an Europas Grenzen zum meistgespielten Stück 2015 zu werden scheint.

Recherchen im Südosten

Auch in die Debatten um die Autorschaft von Texten auf dem Theater wollte die Jury offensichtlich nicht einsteigen, trotz des tiefen Eindrucks, den Yael Ronens Common Ground, eine Reiserecherche an Orten des Jugoslawienkrieges, macht. Es wäre heikel gewesen, da der Text ja nicht von einem Schriftsteller, sondern kollektiv vom Ensemble des Maxim-Gorki-Theaters erstellt wurde. Den Publikumspreis gewann Common Ground dennoch.

Dramatischer Newcomer wurde keiner entdeckt. Eingeladen waren Altbekannte. Wie Palmetshofer waren auch Felicia Zeller (mit Wunsch und Wunder), Rebekka Kricheldorf (mit Homo empathicus) und Dirk Laucke (mit Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute) schon mindestens zweimal in Mülheim angetreten. Einzig Wolfram Lotzs Die lächerliche Finsternis war zum ersten Mal in Mülheim: als Favorit. Hier wäre tatsächlich eine freche Spielvorlage zu prämieren gewesen, unterstützt vom beeindruckenden Ensemble der Burg. Dessen Bemühungen um die Gegenwartsdramatik haben Mülheim heuer nachhaltig geprägt. (Bernhard Doppler, 5.6.2015)