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Das Recht auf Selbstbestimmung ist noch immer nicht selbstverständlich.

Foto: dpa (Patrick Pleul)

Neulich hat sich Katha Pollitt in einem Artikel damit beschäftigt, dass die gesellschaftliche Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Ehen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich Aufschwung bekommen hat, während in puncto Abtreibung die Tendenz wieder in Richtung mehr Restriktionen für Schwangere zu weisen scheint. Ihre Analyse bezieht sich auf die USA, aber auch in Deutschland lässt sich wohl so etwas Ähnliches beobachten. Ein von Ulrike Busch und Daphne Hahn herausgegebener Sammelband will die Diskussion auch hier wieder ein bisschen in die Gänge bringen, und das ist gut so.

Das Buch versammelt Rück- und Überblicke über die Lage und den Diskurs. Dabei wird deutlich, dass die Diskussion letztlich mit dem letzten "Abtreibungsgesetz" in Deutschland 1990 zum Erliegen gekommen ist. Einerseits vielleicht verständlich: Zwar ist Abtreibung weiterhin im Prinzip nicht Entscheidung der Schwangeren selbst, sondern gilt als Unrecht, aber sie wird nicht strafrechtlich verfolgt und gilt bei Einhaltung bestimmter Verfahren oder bei vorliegenden Indikationen auch nicht mehr als gesetzwidrig. Konkret heißt das: Rein theoretisch ist zwar das Ziel der Frauenbewegung, nämlich das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung, nicht erreicht worden, ganz praktisch kann aber im konkreten Fall fast jede Frau, die abtreiben will, das auch tun.

Also warum weiter aufregen?

Aber es kommt noch etwas anderes hinzu, und zwar die gespaltene Haltung von Feministinnen zur Frage der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik. In den vergangenen 25 Jahren hat es in der Reproduktionstechnologie große Veränderungen gegeben. Und viele Feministinnen stehen dieser "Invasion" medizinischer Apparate in den Prozess von Schwangerwerden, Schwangersein und Gebären sehr skeptisch gegenüber. Auch in diesen Debatten geht es um die Haltung der Gesellschaft gegenüber dem "ungeborenen Leben". Und offenbar finden viele es schwer zu begründen, wie man einerseits das "Recht auf Abtreibung" vertreten, andererseits aber gegen jegliche Art eugenischer "Selektion" (etwa von Embryonen) eintreten kann. Dabei kommt erschwerend hinzu – das wurde mir bei der Lektüre des Buches erst so richtig klar – dass gerade in Deutschland die Pro-Abtreibung-Argumente in den 1980er-Jahren noch ziemlich eng mit eugenischen Erwägungen durchzogen waren.

Die Gesellschaft gibt vor

Meiner Ansicht nach liegt ein Kern des Problems darin, dass sich die Debatten viel zu sehr auf den universalen Blickwinkel kapriziert haben, nämlich die ethische Frage, wann "man" einen Embryo töten oder sterben lassen darf und wann nicht. Wann beginnt Leben? Was für Rechtsgut gilt es hier zu schützen? Und so weiter. Gesetze haben dann quasi die Aufgabe, Schwangere zur Einhaltung dieser ethischen Normen zu zwingen, die die Gesellschaft allgemein festlegt.

Und das ist eben in Bezug auf Abtreibung die falsche Frage. Da geht es nämlich letztlich darum, inwiefern es legitim ist, Schwangere (oder, im Fall der Präimplantationsdiagnostik, potenziell Schwangere) in die Entscheidung über ihren Körper hineinzureden.

Meine Position dazu

Diejenige Person, die rund um das Schwangersein oder Schwangerwerden etwas letztlich zu entscheiden hat, ist immer diejenige, um deren Körper es geht. Ethische Diskussionen sind sinnvoll, aber nur dafür, diesen (potenziell) schwangeren Personen Anhaltspunkte für ihre Entscheidungen zu geben. Sie mit Argumenten, Informationen, ethischen Erwägungen und so weiter zu versorgen und darüber hinaus mit Hilfestellung und Unterstützung, mit dem Ziel, dass die dann umso besser ausgerüstet sind, um für ihren konkreten Fall zu entscheiden, wie sie schwanger werden, wie und ob sie ein Kind austragen und gebären.

Das ist dann letztlich auch eine philosophische Frage: zu sehen, dass es im wirklichen Leben niemals 100 Prozent "saubere" ethische Entscheidungen gibt, sondern, dass die Lage in der Regel komplex ist. Ethisch verantwortliche Entscheidungen kommen nicht so zustande, dass man Regel X auf Situation Y anwendet. Sondern sie kommen dadurch zustande, dass jemand in einer Situation möglichst verantwortlich entscheidet, also sagt: So wird das jetzt gemacht. In Bezug auf Angelegenheiten, die alle betreffen, kann das gut "der Gesetzgeber" (unterstützt von Polizei und Justiz) sein. In Bezug auf den Körper einer Person aber nicht. Da kann man vielleicht Ratschläge geben, entscheiden muss aber die Person, um die es geht.

Zwischen Selbstbestimmung und Restriktion

Wenn das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung klar und unhinterfragt wäre, dann können ethische Diskussionen auch in Bezug auf Medizintechnologie kritisch sein, auch sehr kritisch bis gegnerisch, weil das nämlich dann nicht mehr automatisch bedeutet, dass daraus Gesetze generiert werden, die in den Körper von Schwangeren hineinregieren.

Die Frage ist: Schaffen wir es, ein gesellschaftliches Klima zu erreichen, das der reproduktiven Selbstbestimmung von Frauen genauso wohlgesonnen ist wie der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft? Ich finde, hier liegt eine inhaltliche Herausforderung für feministische Körperphilosophien heute, die mehr Aufmerksamkeit unsererseits verlangen würde. Auch vor dem Hintergrund, dass das Thema Abtreibung in vielen Teilen der Welt noch längst nicht so "durch" ist wie bei uns. Selbst in Europa gibt es noch Länder, in denen Frauen nur unter unwürdigsten und schwierigsten Bedingungen eine Schwangerschaft abbrechen können.

Global gesehen ist es noch schlimmer: 40 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter, schreibt Ulrike Busch in ihrem Aufsatz, leben heute noch in Ländern mit einer hoch restriktiven Rechtslage. Laut WHO finden jedes Jahr 22 Millionen Abtreibungen unter unsicheren Bedingungen statt, etwa 47.000 Frauen sterben jedes Jahr dabei, und etwa fünf Millionen erleiden Folgeschädigungen. Abtreibung ist also ein Thema, das wir feministischerseits noch lange nicht zu den Akten legen können. (Antje Schrupp, 8.6.2015)