In Oberbayern beim G7-Gipfel vermisst speziell die deutsche Wirtschaft Russlands Präsident Wladimir Putin. Dessen Land vollzieht derweil die lange angekündigte Wendung gen Osten, Chinas Gewicht in Russland nimmt schnell zu.

"Sila Sibiri" (Sibiriens Stärke) heißt Russlands neue, 70 Milliarden Dollar (62,5 Milliarden Euro) teure Prestigepipeline. 38 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr soll die Leitung ab 2019 nach China pumpen, der Liefervertrag hat ein Volumen von 400 Milliarden Dollar. Diese Woche hat China mit dem Bau des ersten Teilstücks auf seinem Territorium begonnen. Das Projekt ist symptomatisch für das Interesse der Chinesen an Russland: Die Nation will mithilfe des nördlichen Nachbarn ihren Energie- und Rohstoffhunger stillen.

Russland hofft auf Kredite

Im Gegenzug hofft Moskau auf die nach den westlichen Sanktionen dringend benötigten Kredite. Und so erwägt Russland, auch seine Atomenergie mit chinesischer Unterstützung voranzutreiben. Das ist ein Novum, denn eigentlich ist der Sektor schon aus Sicherheitsgründen völlig unter staatlicher Kontrolle. Jahrelang profitierte der vom Ex-Premier Sergej Kirijenko geleitete Monopolist Rosatom von der generösen Subventionierung der Branche durch den Kreml.

Selbst bei internationalen Ausschreibungen hatten die Russen oft die Nase vorn, weil sie die Finanzierung zu verbilligten Konditionen gleich mitbrachten. Entsprechend schnell konnte Rosatom wachsen. Hatte der Staatskonzern 2013 ein Auftragsvolumen von 74 Milliarden Dollar, steigerte er dieses im vergangenen Jahr auf 101,4 Milliarden Dollar. Bis 2020 sollen es sogar 150 Milliarden Dollar sein.

Wichtigster Handelspartner

Da der russische Staat nun aber die Finanzierung kürzt, sollen chinesische Banken und Energieversorger als Investoren einspringen. Als konkretes Projekt steht das Kernkraftwerk Tianwan am Gelben Meer auf der Agenda. Zwei Reaktorblöcke sind schon in Betrieb, zwei im Bau, über weitere vier Reaktoren wird verhandelt. Daneben besprechen Rosatom und CNNC New Energy aber auch den Bau von schwimmenden Atomkraftwerken sowie gemeinsame Projekte in Drittländern.

Zugleich sieht China in Russland einen wichtigen Absatzmarkt: Mit 95 Milliarden Dollar ist Peking Moskaus wichtigster Handelspartner. Ihre Geländegewinne erzielen die Chinesen zulasten der Europäer. "Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann China Deutschland als wichtigster Zulieferer von Maschinen und Equipment ablöst", räumte der Chef des deutschen Maschinenbauerverbands, Ulrich Ackermann, jüngst ein.

Alibaba erobert russischen Onlinehandel

Im Eiltempo erobert China auch Russlands Einzelhandel. Es ist kein Zufall, dass sich nun auch Internetriese Alibaba in Russland offiziell angesiedelt hat. Mit 15,6 Millionen Kunden pro Monat hat dessen Auktionshaus Aliexpress schon jetzt deutlich mehr Zulauf als die Konkurrenz von Ebay und Amazon. Russland ist der zweitwichtigste Markt für die Alibaba-Tochter.

Nicht nur chinesische Waren gehen über die Grenze nach Norden. Billige Arbeiter aus China fluten bereits jetzt Sibirien. Deren Immigration könnte künftig erleichtert werden, um bei der Vorbereitung auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 Kosten zu sparen. Experten schätzen den Preis der WM immerhin auf bis zu 40 Milliarden Euro. In Moskauer Regierungskreisen werden daher die Abschaffung der Quotenregelung für Gastarbeiter und eine vereinfachte Ausgabe der Arbeitserlaubnis diskutiert. Ausdrücklich soll diese Regelung die Türkei und China begünstigen. (André Ballin aus Moskau, 5.6.2015)