Bild nicht mehr verfügbar.

Was das höchste Gut ist - ob Zufriedenheit, oder Gesundheit, oder etwas anderes - unterscheidet sich in den einzelnen Ländern.

Foto: EPA/Lopez

Eines mag Anthony Gooch gar nicht: Dass man ihn fragt, in welchem Land die glücklichsten Menschen leben. Der Kommunikationschef der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, erforscht eigentlich genau die Befindlichkeit der Menschen in den wichtigsten Volkswirtschaften der Welt. Aber er will nicht ständig vergleichen. Das tun alle anderen Wellness-Ranglisten und Glücks-Klassifizierungen und sonstigen Hitparaden, die angeben wollen, wo man am besten lebt. "Und natürlich scheitern sie kläglich bei ihren Versuchen", meint Gooch. "Allein schon, weil Glück ein individueller Wert ist."

Die OECD, diese hochseriöse Denkfabrik der reichsten Länder, gibt ebenfalls einen "Index für besseres Leben" heraus. Er reiht aber nicht einfach Kriterien wie Gesundheit, Wohnqualität, Einkommen oder Bildung der einzelnen Länder aneinander. Der Ansatz ist anders – schlauer: "Wir lassen die Nutzer selber entscheiden, welche Kriterien für sie wichtig sind", erklärte OECD-Direktor Gooch am Dienstag zum STANDARD, als er in Paris die neue Version der Webseite "oecdbetterlifeindex.org" präsentierte.

Gesundheit für Österreicher wichtig

Der Index beruht auf insgesamt elf Kriterien; jedes davon lässt sich auf einer Skala von eins bis fünf als mehr oder weniger wichtig einstufen. Diese Methode erlaubt eine Vielfalt unterschiedlicher Aussagen. Jeder einzelne Teilnehmer kann sich selber mit seinen Landsleuten oder anderen OECD-Ländern vergleichen. Die Österreicher stufen zum Beispiel Gesundheit, Bildung und persönliche Zufriedenheit am höchsten ein. Die Wohnsituation, das Einkommen oder die Sicherheit folgen bei ihnen weiter hinten als anderswo.

Je nach Kriterium sind auch jene Ländervergleiche möglich, die Gooch nicht mag. Für die Amerikaner ist Geld zum Beispiel wichtiger als ein ausgeglichenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit; letzterer messen die Österreicher mehr Gewicht zu als die meisten anderen OECD-Bürger. Für die Skandinavier ist hingegen "Zufriedenheit" das höchste Gut. Doch ist sie überhaupt messbar? Die OECD versteht darunter die persönliche Befindlichkeit eines jeden einzelnen. "Wir alle fühlen uns mehr oder weniger zufrieden, und das gehört heute einfach in nationale Statistiken", meint Gooch.

900.000 Interessenten

Bei dem 2011 geschaffenen Index haben mittlerweile 900.000 Interessenten mitgemacht. Am Dienstag hat Gooch ein Update der Webseite vorgestellt, das verfeinerte Angaben je nach Geschlecht, Alter und Region ermöglicht. Wie in einem Puzzle lasse sich immer genauer absehen, was den Bewohnern eines Landes, einer Großstadt oder einer Region wirklich wichtig sei. "Wird etwa die Gesundheit am höchsten eingestuft, können wir diese Angabe mit der effektiven Gesundheitsversorgung des Landes vergleichen", sagt Gooch. "Das ermöglicht uns, den einzelnen Regierungen gezielte Maßnahmen zu empfehlen, die den eigentlichen Bedürfnissen der Bürger entsprechen."

Im Unterschied dazu folgten die Medien und Behörden eines Landes oft "scheinbaren" Themen wie der Einwanderung oder etwa einem EU-Beitritt im Falle Englands, meint Gooch über sein Herkunftsland. Was weniger mediatisiert sei: In London hätten mehrere Ministerien begonnen, die Wohlfahrtsindikatoren der OECD in ihre Planungen einzubeziehen.

Auch die Binsenwahrheit des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton, dass sich alles um die Wirtschaft drehe ("it’s the economy, stupid"), stimme eigentlich nicht, meint der OECD-Vertreter mit Verweis auf den Lebensindex. Dieser ist selbst ein Beleg, wie stark sich die Wirtschaftsorganisation gewandelt hat. An diesem Dienstag erklärt OECD-Vorsteher Ángel Gurría bei dem jährlichen Forum am Pariser OECD-Sitz das neue Credo des einst so orthodox-liberalen Verbandes: "Bessere Politik für besseres Leben." Themen der Tagung sind die Klimaerwärmung, die Ungleichheit der Einkommen ("Leben mit weniger als zwei Dollar am Tag") oder eine Gesprächsrunde zur Frage: "Was macht ein Land glücklich?" Hauptrednerin ist die Dänin Malène Rydahl – deren Landsleute im Better-Life-Index die persönliche Zufriedenheit als oberstes Gut nennen, noch vor Gesundheit, Wohnqualität oder Arbeit.

Klassische Ökonomenthemen

Natürlich stehen bei dem Forum auch klassische Ökonomenthemen zur Debatte: "Investitionen befreien", lautet eins, "Leader ausbilden", ein anderes. Und am Mittwoch gibt die OECD ihren jährlichen Wirtschaftsausblick heraus, der nicht den Glücksfaktor zum Kern hat, sondern das Bruttosozialprodukt. Aber das Wirtschaftswachstum gilt bei der OECD nicht mehr als oberstes oder gar einziges Ziel. Der "Better-Life-Index" ist schliesslich ein Kind der Finanzkrise von 2008 und der nachfolgenden Kommission Stiglitz-Sen-Fitoussi. Meist braucht es eben Krisen, um ein Umdenken zu bewirken. (Stefan Brändle, 3.6.2015)