Die im Dschungel von Französisch-Guayana lebenden Pfeilgiftfrösche aus der Familie Dendrobatidae sind ein Modellorganismus in Sachen Fortpflanzungsbiologie.

Foto: Andrius Pašukonis

Wien - Wer in das Naturschutzgebiet Les Nouragues am Fluss Arataye in Französisch-Guayana reisen will, sollte hitzeresistent sein und keine Angst vor krabbelndem Getier haben. Der dichte Dschungel beherbergt unzählige Spezies, so manche davon dürfte der Wissenschaft noch unbekannt sein. Dasselbe gilt für die Flora. Besonders üppig gedeiht die Vegetation während der Regenzeit, sie hält in diesem Teil Südamerikas normalerweise von Dezember bis Mai an. Der Waldboden verändert sich dann in eine matschige Masse, in der es von Leben nur so wimmelt. Biologen lieben solche Orte.

Eva Ringler ist eine von ihnen. Die an der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätige Forscherin zieht es seit Jahren immer wieder an den Arataye. Ihr Hauptinteresse gilt den dort vorkommenden Pfeilgiftfröschen aus der Familie Dendrobatidae. Zusammen mit einigen Kollegen untersucht sie die vielfältigen Überlebensstrategien dieser nur wenige Zentimeter großen Amphibien. Wer die Anpassung der Frösche an ihr Habitat und ihre Nutzung der vorhandenen Ressourcen analysiert, bekommt Einblick in grundlegende ökologische Regelwerke. Die kleinen Vierbeiner dienen als Modellorganismen.

Attraktive Schallsignale

Vor allem der Glanzschenkel-Baumsteiger, zoologisch Allobates femoralis genannt, wird von Ringler intensiv studiert. Die Tierchen haben eine hochinteressante Fortpflanzungsbiologie. Zu Beginn der Regenzeit beginnt auch deren Balz. Die Männchen verfügen über eigene Reviere und versuchen mittels Schallsignalen, Weibchen dorthin zu locken.

"Der Anzeigeruf klingt fast wie ein Vogel, sehr schrill und laut", sagt Ringler. Doch hat sich eine Froschdame genähert, schlägt das Männchen ganz andere Töne an. Der nun erklingende Balzruf ist leise und schnurrend. Schließlich wolle man keine Konkurrenz anlocken. Währenddessen spielt sich das Paar aufeinander ein. "Sie hupfen ziemlich lange gemeinsam im Territorium herum." Bis zur Begattung und Eiablage vergehen mehrere Stunden. Der Laich wird dabei auf einem zusammengerollten, nassen Blatt abgesetzt. Anschließend geht jeder wieder seiner eigenen Wege.

Tümpel als Kinderstube

Zwei bis drei Wochen dauert die Larvenentwicklung im Ei. Dann kehrt der Vater zum Gelege zurück und nimmt die frisch geschlüpften Kaulquappen auf seinen Rücken. Der Nachwuchs saugt sich dort fest, die Reise kann beginnen. Das Froschmännchen steuert gezielt einen Regentümpel, ein wassergefülltes Loch im Stamm eines umgestürzten Baumes oder ein ähnliches Kleingewässer an. Diese natürlichen Mini-Aquarien dienen den Kaulquappen als Kinderstuben. Die Froschlarven ernähren sich dort von Algen, toten Insekten und anderem organischem Material. "Sie fressen fast alles, was reinfällt", sagt Ringler. Dennoch schaffen es die meisten nicht, bis zur Metamorphose zu überleben. Und dafür gibt es mehrere Gründe.

Ringler und ihre Wiener Kollegen haben den Fortpflanzungserfolg von A. femoralis vor Ort in Les Nouragues genauer erforscht. Um die Untersuchungen zu erleichtern, gruben sie 30 künstliche Bruttümpel - kleine Kunststoffwannen mit je zwei Litern Fassungsvermögen - in den Waldboden ein. Die Plastik-Kinderstuben wurden von den Froschvätern gerne angenommen. Dutzende von ihnen trugen ihren Nachwuchs in die eingebrachten Behälter. Insgesamt zählten die Wissenschafter 2595 Kaulquappen. Zahlreiche fielen jedoch Fressfeinden wie Libellenlarven und Spinnen zum Opfer. In drei künstlichen Tümpeln kamen sogar alle Froschbabys ums Leben. Das Wasser in diesen Wannen war durch hereingefallenen Affenkot, Tierkadaver oder faulige Früchte verpestet worden. Umweltkatastrophen im Mikroformat.

Risikostreuung im Urwald

Das Team machte allerdings noch eine andere Beobachtung: Die Froschmännchen verteilten ihre Kaulquappen auf mehrere Kinderstuben. Genetische Analysen bestätigten die anfänglichen Vermutungen. Erbguttests an 340 Froschlarven zufolge leben in einem Tümpel Jungtiere von durchschnittlich drei verschiedenen Vätern. Ein detaillierter Studienbericht erschien neulich im Fachjournal Behavioural Ecology and Sociobiology (Bd. 69, S.1011). A. femoralis pflanzt sich zudem polygynandrisch fort: Vertreter beider Geschlechter paaren sich während einer Brutsaison mit mehreren Partnern.

Die Unterbringung der Kaulquappen in mehreren Brutgewässern, meint Ringler, dient höchstwahrscheinlich der Risikostreuung - eine Strategie, die Anleger oft auch an der Börse verfolgen. Würde ein Männchen seinen gesamten Nachwuchs einem einzigen Tümpel anvertrauen, könnte dies mitunter zum Totalverlust führen. Die Froschväter scheinen potenzielle Kinderstuben durchaus im Voraus auf die Anwesenheit von Fressfeinden hin zu überprüfen. Sie sitzen dann am Rand und beobachten, berichtet Ringler. Aber Fressfeinde können auch später eintreffen, oder ein Haufen Affenmist könnte den Tümpel in eine Kloake verwandeln. Solche Ereignisse lassen sich natürlich nicht vorhersehen, betont die Biologin.

Einzigartige Flexibilität

Im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts untersucht Ringler nun weitere fortpflanzungsrelevante Verhaltensmuster der Pfeilgiftfrösche. Neue Untersuchungsergebnisse sind soeben im Fachjournal "Behavioural Ecology" erschienen. Anders als lange angenommen greifen auch die Weibchen von A. femoralis manchmal in die Nachwuchsversorgung ein. Hin und wieder treffen die Forscher Froschdamen mit Kaulquappen auf dem Rücken an. Auch bei Terrarienversuche ließ sich Derartiges beobachten. "Wenn das Männchen ausfällt, übernimmt offenbar die Mutter", sagt Ringler. Diese Flexibilität sei unter uniparentalen Arten, also solchen, bei denen nur ein Elternteil die Jungen versorgt, einzigartig.

Wie die Weibchen wissen, wann sie einspringen müssen, ist noch nicht abschließend geklärt. Wahrscheinlich überwachen sie die Rufaktivität ihrer ehemaligen Sexualpartner, meint Ringler. Sie würden damit einer einfachen Logik folgen: Wer während der Paarungssaison schweigt, ist wahrscheinlich tot oder verschollen. Wichtig wäre auch, zu wissen, ob die Tiere ihren eigenen Nachwuchs erkennen können oder sich nur an den Ort der Eiablage erinnern. Hierzu führt Ringler im Urwald weitere Versuche durch. "Ich vertausche Gelege", sagt sie. Ob die es bemerken? (Kurt de Swaaf, 7.6.2015)