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"Die große Kälte": Barack Obama, Xi Jinping und Wladimir Putin als Karnevalsmotive in Viareggio.

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Ian Bremmer: Money talks.

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STANDARD: Die US-Außenpolitik verändert sich derzeit substanziell. Was erwarten Sie für das Wahljahr 2016 in diesem Zusammenhang?

Bremmer: China wird in zehn Jahren zur weltgrößten Wirtschaftsmacht aufgestiegen sein und - verglichen mit den USA - überwältigenden Einfluss über viele Länder dieser Welt gewonnen haben. Können wir also erwarten, dass die USA weiter in Staaten als Geberland auftreten, in denen sie nur marginalen wirtschaftlichen Einfluss haben? Das schließe ich aus. Keine Frage, Amerika trägt noch immer viel zur Bewältigung von Krisen bei - Stichwort Ebola, auch wenn die Aktion dagegen sehr spät anlief. Aber man sollte den amerikanischen Appetit auf solche Operationen nicht überschätzen - besonders im Verhältnis zur Nachfrage, die dafür besteht.

STANDARD: Wie schätzen Sie das US-chinesische Verhältnis gegenwärtig ein? Viele glauben, von dessen Management hingen Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert ab.

Bremmer: Das ist wahrscheinlich wahr. Die USA haben in den vergangenen Jahren viele Beziehungen zu Staaten falsch gehandhabt - Russland rangiert dabei hoch auf meiner Liste, auch Deutschland oder der Nahe Osten. Der Umgang mit China war dagegen eigentlich ganz okay. Es gibt Themen, bei denen man sich offen bekämpft, die Cyberdomäne oder das Südchinesische Meer. Andererseits gibt es komplementäre Märkte, ein wirtschaftliches Gleichgewicht des Schreckens sowie die Ankündigung bilateraler Investitionsvorhaben und sogar gemeinsame Auffassungen beim Klimaschutz.

STANDARD: Also eigentlich alles bestens im Verhältnis mit Peking?

Bremmer: Das Problem ist, dass es nur ein Land auf der Welt gibt, das eine globale Strategie verfolgt. Und das sind nicht die Vereinigten Staaten. Es ist China. Peking hat entschieden, dass es keine militärische Strategie verfolgt. Es demonstriert keine Macht wie Putin in Europa - nicht einmal in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, um etwa Japan nicht noch mehr in Richtung USA zu treiben. Wirtschaftlich allerdings will China Amerika herausfordern, greift die Weltordnung und die globalen Standards an. Darum geht es bei der Seidenstraßen-Initiative, der Asiatischen Investitionsbank AIIB, der Chinesischen Entwicklungsbank, der Brics-Bank. Es ist ein chinesischer Marshallplan, dotiert mit einer Billion Dollar. Die Herausforderung für die USA ist: Wie mit einer zunehmend mächtigen chinesischen Führung umgehen, die nicht nur Geld hat, sondern dieses auch ausgeben will, um Verbündete zu finden für ihre Währung, ihre Internet-Standards und dergleichen? Die Fähigkeiten der USA, Macht über die Welt zu projizieren, werden immer kleiner. Für Jahrzehnte hingen Amerikanisierung und Globalisierung zusammen, heute haben wir mehr Globalisierung und weniger Amerikanisierung. Allerdings: Die USA gehen in Wirklichkeit nicht die Beziehungen zu China falsch an, sie handhaben vielmehr ihre eigene Strategie falsch. China macht derzeit schlichtweg den besseren Job.

STANDARD: In Afrika sind die Chinesen schon lange aktiv, mit zunehmen schlechtem Ruf. Ein Backlash für Peking?

Bremmer: Ich habe unlängst einen nigerianischen Offiziellen gefragt, wer den größten Einfluss in Nigeria habe. Er sagte sofort: China! Warum? Weil die Chinesen Schecks ausstellen und wir Schecks mögen, war seine Antwort. Natürlich werden sie nicht immer gern gesehen. Aber neben einem Kritiker stellen sich 20 an, die Schecks wollen. Money talks.

STANDARD: Wird der Wahlkampf die US-Strategie refokussieren?

Bremmer: 2016 wird viel mehr zum außenpolitischen Wahlkampf werden, als die Menschen das erwarten. Typischerweise interessieren sich die Amerikaner nur für Außenpolitik, wenn es Krieg gibt. Die Arbeitslosenrate liegt derzeit bei 5,4 Prozent, die Aktienmärkte notieren hoch wie nie, niemand spricht mehr von der Occupy-Bewegung - und es fühlt sich auch nichts nach Krieg an, obwohl man sagen könnte, dass es praktisch permanenten Krieg gibt. Trotzdem stellen sich Marco Rubio, Jeb Bush, Ted Cruze oder Rand Paul geradezu an, um Präsident Obama außenpolitisch zu kritisieren. Der hat die schlechtesten Zustimmungswerte im außenpolitischen Fach, und zwar nicht so sehr, weil die Welt brennt, sondern vielmehr, weil es sich so viele Führer rund um die Welt herausnehmen, Nein zu sagen. Netanjahu kommt in die USA und hält eine Rede im Kongress, die Obama explizit ablehnt. Die Briten treten der AIIB bei, obwohl die Amerikaner ihnen davon abgeraten haben. Der Natopartner Türkei erklärt, dass er chinesische Rüstungsgüter kauft. Russland und China halten gemeinsame Militärmanöver im Mittelmeer ab. An solche Dinge sind die amerikanischen Bürger einfach nicht gewöhnt. Die Grundthese meines Buches ist: Wir bleiben die einzige Superpower. Allerdings haben wir keine Ahnung, was das bedeutet. Wir wissen nicht, was wir damit anfangen sollen. Wir kennen unsere Mission nicht.

STANDARD: Das Degagement in Irak und Afghanistan, die Annäherung an Teheran - alles Fehleinschätzungen Obamas? Sollte er besser ein hochfliegender Falke sein?

Bremmer: Das wäre die Antwort der meisten Republikaner. Meine Antwort wäre eher: Er sollte kohärenter in seiner Außenpolitik sein. Beispiel Russland/Ukraine: Dort könnte man argumentieren, dass er viel zu hart aufgetreten ist. Wenn man schon so viele rote Linien zieht und Sanktionen erlässt, die Europäer mit sich zieht und die Russen ihm dennoch den Stinkefinger zeigen, dann ist klar, dass es besser gewesen wäre, diese roten Linien nicht zu ziehen. Oder, Beispiel Syrien: Viele Republikaner wollen bombardieren, aber keiner will Bodentruppen schicken, um Assad loszuwerden. Es gibt vier Millionen Flüchtlinge in dem Konflikt, die USA haben 355 davon aufgenommen. Ich habe die Freiheitsstatue gesehen. Ich weiß nicht, ob das die Präsidentschaftskandidaten auch haben. Beispiel Hongkong: Die Demonstranten, die dort um das Wahlrecht kämpfen, haben sich auf Unterstützung verlassen. Und Obama sagt, es sei besorgt. Herrgott, er klingt ja schon wie Ban Ki-moon! Entweder akzeptieren wir das Faktum, dass politische Härte Kosten hat und Standfestigkeit braucht. Oder wir lassen es gleich bleiben. Entweder wir belegen die Chinesen mit Sanktionen oder wir ziehen keine roten Linien.

STANDARD: Ist Inkohärenz nur Obamas Problem?

Bremmer: Nein, das traf auch auf Bush und Clinton zu. Sie alle hatten keine Strategie, waren risikoscheu und reagierten nur - zu oft viel zu stark. Das ist ein Muster, das sich seit dem Kollaps der Sowjetunion immer wieder findet. Für die ersten zehn Jahre mag das noch gutgegangen sein. Nun sehen wir, dass die komplette Abwesenheit kohärenter US-Außenpolitik in den vergangenen 25 Jahren Schaden anzurichten beginnt. Das kann in eine G-Zero-Welt führen, in der noch mehr Schurkenstaaten und Terrororganisationen ins Kraut schießen, als heute.

STANDARD: Was tun?

Bremmer: Wir müssen in den USA eine substanzielle Debatte darüber führen, was wir tun wollen: Wollen wir Politik mit dem Herzen, mit dem Kopf oder mit der Brieftasche machen. Das 20. Jahundert war ein amerikanisches Jahrhundert. Das 21. Jahrhundert ist einfach ein Jahrhundert. Wir wissen nicht welches. Der amerikanische Exzeptionalismus ist eine feine Sache. Allerdings wirkt er wie eine Droge. Man wird süchtig und braucht immer mehr davon. Wir müssen damit aufhören und dürfen unsere Politik nur dann vorantreiben, wenn wir willens und fähig sind, sie auch umzusetzen. Wenn das nicht der Fall ist, müssen wir davon Abstand nehmen. Diese Debatte hat dieses Land seit 25 Jahren gescheut. Als es die Sowjets noch gab, waren wir bereit zu kämpfen und für unsere Prinzipien einzustehen. Jetzt ist das nicht mehr so. Diese Realität haben die Amerikaner bis heute nicht zur Kenntnis genommen.

STANDARD: Politischer Cold Turkey?

Bremmer: (lacht) Wir Amerikaner haben Cold Turkey erfunden. Jeden verdammten Tag nach Thanksgiving gehen wir zum Kühlschrank und essen das Zeug. Mit Cold Turkey kann nur eine Superpower fertig werden! (INTERVIEW: Christoph Prantner, DER STANDARD, 30.5.2015)