Marek Marczynski appelliert an die Europäische Union, bestehende Regelungen zu verschärfen.

Foto: Amnesty International

Im Jahr 2006 führte die Europäische Union die weltweit erste Handelsregulierung für Gegenstände ein, die keinen Zweck außer der Hinrichtung, der Folter oder ähnlichen Misshandlungen von Menschen haben. Eine Reihe von Dingen wie elektrische Fußfesseln, elektrische Schlagstöcke und Netzbetten landeten auf der Liste von verbotenen Gütern, die in die EU weder ein- noch ausgeführt werden dürfen.

Ein Bericht von Amnesty International zeigt allerdings, dass europäische Unternehmen immer noch in den Handel mit solchen Gütern involviert sind. Am Donnerstag begann im EU-Parlament eine Debatte über eine Verschärfung der Richtlinie. Amnesty-Experte Marek Marczynski über Schlupflöcher in der aktuellen Bestimmung, wie Firmen die Regulierung umgehen und wo Folter noch immer stattfindet.

STANDARD: Wenn man von Folter spricht, dann ist das etwas sehr Mittelalterliches. Wie gängig sind solche Praktiken in der heutigen Zeit noch?

Marczynski: Klar ist, dass Folter unter internationalem Recht streng verboten ist. Das gilt für alle Staaten dieser Welt. Da gibt es einen sehr hohen gesetzlichen Standard. Realität ist aber, dass laut unserem Bericht aus dem vergangenen Jahr 82 Prozent der Länder weltweit in irgendeiner Weise und in einem gewissen Grad foltern.

STANDARD: Also auch in der Europäischen Union.

Marczynski: Auch in der EU, ja. Natürlich muss man dabei zwischen den Ländern unterscheiden, in denen es fast täglich zu Folter kommt, und den Ländern, wo es etwa ein Dutzend Fälle im Jahr gibt. Im Endeffekt macht es aber keinen Unterschied. Folter ist verboten, egal wie oft sie angewandt wird.

STANDARD: Die Europäische Kommission hat eine Regulierung erlassen, wonach der Handel mit bestimmten Folterwerkzeugen verboten ist. Am Donnerstag hat sich das Europäische Parlament beraten, um diese Regulation zu verschärfen. Gibt es noch Schlupflöcher?

Marczynski: Zuerst muss man anerkennen, dass die EU große Anstrengungen unternimmt, um bei dem Thema Druck zu machen. Darauf kann man stolz sein. Aber es gibt immer Verbesserungsmöglichkeiten. Zum Beispiel ist es unter der aktuellen Regulation erlaubt, dass für verbotene Folterwerkzeuge in Europa Werbung gemacht wird. Unvorstellbar, dass man Kokain oder Marihuana im Internet oder auf Messen bewirbt. Da hätte man sofort die Polizei am Hals. Bei Folterinstrumenten ist das möglich. Konkret haben wir herausgefunden, dass das in Frankreich, Deutschland und Großbritannien auf Messen der Fall war. Dabei waren auch tschechische und deutsche Firmen involviert.

STANDARD: Welche Strategien wenden Firmen an, um die EU-Regulierung zu umgehen?

Marczynski: Zwar ist es verboten, dass die verbotenen Folterwerkzeuge europäischen Boden berühren, doch können Firmen ein Subunternehmen in einem Land außerhalb der EU gründen. Das ist immer noch legal.

STANDARD: Gab es ein Rechercheergebnis, das Sie besonders schockiert hat?

Marczynski: Mich hat vor allem schockiert, dass in Tschechien noch immer Netzbetten hergestellt werden. Was sollen die für einen Nutzen haben, außer Leute zu demütigen? Außerdem ist Tschechien sehr lasch, wenn es um die Erteilung von Lizenzen für kontrollpflichtige Geräte geht. So ist es zwar nicht verboten, Pfefferspray oder Elektroschockgeräte zu verkaufen, doch muss der Verkauf überprüft werden. Nicht, dass schlussendlich Menschen damit schwer misshandelt werden. Tschechien verkaufte allerdings solche Dinge nach Angola, in die Demokratische Republik Kongo und die Vereinigten Arabischen Emirate, wo Menschen damit gefoltert wurden.

STANDARD: Warum ist es die Verantwortung der EU, in diesem Bereich etwas zu unternehmen?

Marczynski: Wie bereits zu Beginn erwähnt, ist Folter weltweit streng verboten. Deshalb liegt es nicht nur an der Union, etwas dagegen zu tun. Die EU hat allerdings eine Führungsrolle in diesem Bereich übernommen. Wir hoffen, dass wir in zehn bis 20 Jahren, vielleicht auch früher ähnliche Regulierungen weltweit haben. Europa hat einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Hoffentlich geht das Parlament sogar noch einen Schritt weiter. (Bianca Blei, 29.5.2015)