Linz – Oberösterreich hat ohne die drei Statutarstädte Linz, Wels, Steyr eine durchschnittliche Gemeindegröße von 2559 Einwohnern. In 92 von 442 Gemeinden leben unter 1000 Einwohner. Nur die Steiermark, Niederösterreich und Tirol haben noch kleinere Strukturen. Die langsame, aber kontinuierliche Urbanisierung setzt vor allem den kleineren Gemeinden zu. Um einer "Fahr fort, pfeif auf den Ort"-Mentalität entsprechend entgegen wirken zu können, holt man sich in Oberösterreich jetzt Hilfe aus dem Bereich der Hirnforschung.

Kommunale Hühnerhöfe

Am Mittwoch war der renommierte deutsche Hirnforscher und Buchautor ("Kommunale Intelligenz") Gerald Hüther auf Einladung von Umweltlandesrat Rudi Anschober (Grüne) Gast beim landesweiten "Agenda 21-Netzwerktreffen" in Linz.

Den Ist-Zustand der Gemeinden beurteilt Hüther kritisch: "Die meisten Kommunen sind keine Adlerhorste, in denen Überflieger und Gestalter der gemeinsamen Zukunft heranwachsen, sie gleichen eher Hühnerhöfen, in denen jeder froh ist, wenn er ein Korn findet." Im Idealfall sollten Kommunen aber "heute das sein, was früher einmal die Großfamilien waren – Erfahrungsräume, in denen Kinder und Erwachsene die wichtigsten sozialen Kompetenzen erwerben, um gemeinsam Probleme zu bewältigen, kreative Potenziale auszuschöpfen und ihr Lebensumfeld aktiv mitzugestalten", erläutert Hüther im Gespräch mit dem Standard. Im gemeinsamen Tun sieht der Wissenschaftler auch den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Gehirn und Gemeinde: "Menschen verkümmern geistig, wenn sie nicht den Input von außen haben. Wer sich nur auf sich selbst konzentriert, wird auf Dauer nicht glücklich werden."

Niedergang als Chance

Mehr Gemeinsamkeit auf Kommunalebene sei auch das adäquate Mittel um jene Gemeinden, die nur mehr reine Verwaltungseinheiten sind und unter Abwanderung, struktureller Ausdünnung und chronischer Unterfinanzierung leiden, erfolgreich wiederzubeleben. Hüther: "Nur den Untergang der Heimatgemeinde zu bejammern ist entschieden zu wenig. Die Bürger müssen die Chancen erkennen. Selbstverantwortung ist der Schlüssel zum Erfolg."

Die Politik habe die "Gemeinde-Probleme" zwar meist zu verantworten, auf Lösungen von politischer Seite sollten die Bürger aber jetzt nicht mehr länger hoffen: "Es braucht keine neuen Strukturen von oben, sondern einen Kulturwandel in den Gemeinden. Die Menschen müssen Lust bekommen, gemeinsam einen Greißler aufzusperren, einen Kindergarten zu betreiben oder den örtlichen Bäcker wiederzubeleben."

Dass ein Zusammenrücken tatsächlich das Dorfleben ankurbelt, zeigt sich etwa im Mühlviertel: Als in der kleinen Ortschaft Kaltenberg der letzte Nahversorger zusperrte, wurden die Bürger selbst aktiv. Die Kaltenberger übernahmen den Dorfladen – auf Vereinsbasis. Im Jänner feierte "Unser G'schäft" bereits das vierjährige Jubiläum. (Markus Rohrhofer, 28.5.2015)