Der 26-jährige Schwarzträger Jamie xx deutet auf "In Colour" Club-Nostalgie als Zukunftsmodell.

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In der Single "I Know There's Gonna Be (Good Times)" zitieren The xx jamaikanischen Dancehall und guten alten Soul. Beim Video bleibt man bescheiden.

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In "Loud Places" wird der klassische melancholische Schlechtwetterfront-Klang von The xx mit Idris Muhammads altem Disco-Klassiker "Could Heaven Ever Be Like This" von 1977 kurzgeschlossen.

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Wien - Vor einigen Jahren wären sie noch als Schülerband belächelt worden, die mit in die Mundwinkel geklemmten Zungen versuchen, die Musik der Eltern nachzuspielen. Das bedeutet in diesem Fall die vor 30 Jahren erfolgte Heirat lebensüberdrüssiger Schwarzkittelmusik mit melodiösem Unterforderungsdepressions-Pop.

Damals nannte sich im Original das pummelige Kind Robert Smith und seine Band The Cure. Neben Hits wie Boys Don't Cry oder Just Like Heaven bleiben sie vor allem mit einem der zähesten Brocken der Musikgeschichte in Erinnerung, dem erschütternden Elendigkeitsalbum Pornography von 1982.

Depression und Blähungen

Als ebenso pampige Wiedergänger machten ab 2009 The xx aus dem Londoner Bezirk Wandsworth Karriere. Die nicht gerade lebensfrohe Gegend kennt man wegen des ehemaligen Kohlekraftwerks Battersea Power Station. Es diente als Covermotiv des Pink-Floyd-Albums Animals von 1977. Pink Floyd klangen nach ihren Experimenten mit psychedelischen Drogen, später dank schweren Rotweins und reichhaltiger Kost, auch immer leicht unter Blähungen leidend und depressiv.

The xx um das heute 26-jährige Produzenten-Wunderkind Jamie xx versuchten das Ganze in Berufung auf die ebenfalls vor gut 30 Jahren kurz umgehenden, vor allem von Musikern geliebten Minimal-Pop- und Post-Punk-Stubenhocker Young Marble Giants zu entschlacken. Die Lust nach üppiger Dekoration der eigenen, halbwegs gut medikamentierten Befindlichkeiten ist der Generation der Prekären gründlich vergangen.

Kinderliedmelodien, mit zwei Fingern auf der Gitarre gespielt, wenige grundierende Töne am Bass, dazu verschlampte Beats und verhallte elektronische Sounds genügten, um dem stoischen, emotionslosen Nuschelgesang der beiden Kühlerfiguren Romy Madley Croft und Oliver Sim gediegene posttraumatische und -dramatische Weltschmerzatmosphäre zu verleihen. Die beiden Alben xx und Coexist wurden millionenfach verkauft. Jamie xx remixte immer wieder auch mit diesem Signatur-Sound Adele oder Gil Scott-Heron oder arbeitete für Alicia Keys. Und auch Karl Lagerfeld steckte das Trio in Designerschwarz.

Weg vom düsteren Image

Nach seinem sedierten Club-Hit All Under One Roof Raving und internationaler Jetsetterei als vinylsüchtiger Discjockey liegt nun mit In Colour ein Soloalbum vor. Wie schon der Titel vermittelt, will Jamier xx entschieden weg vom düsteren Image.

Das gelingt ihm dankenswerterweise nur bedingt. Zwar mischt und sampelt der junge Mann sich souverän durch die Geschichte der Clubmusik. Jungle, Garage und Drum 'n' Bass aus Jamies Grundschulzeit werden ebenso zitiert wie in der Single I Know There's Gonna Be (Good Times) jamaikanischer Dancehall und guter alter Soul.

Aber Jamie xx ist auch eine treue Seele und beschäftigt als Gäste seine beiden BandkollegInnen Romy und Oliver. Das führt etwa zum erstaunlichen Song Loud Places. Hier wird der klassische melancholische Schlechtwetterfront-Klang von The xx mit Idris Muhammads altem Disco-Klassiker Could Heaven Ever Be Like This von 1977 kurzgeschlossen. Die Antwort lautet: Bei Regenwetter schon.

Unsere Zukunft ist die Nostalgie

Im Track Gosh lauern nicht nur 1990er-Jahre-Breakbeats, sondern auch unterkühlter New Wave aus den 1980er-Jahren und der Basslauf des Synthie-Pop-Klassikers Dream Baby Dream von Suicide. Grundsätzlich dienen Gesangssamples als das, wofür sie einst erfunden wurden, als Gesangsersatz.

Wie im housigen Sleep Sound klingt das oft auch nach tempogedrosselter Tanzmusik hinter schallgedämpften Türen. International wird das Album derzeit abgefeiert. Es dürfte in diversen Jahresbestenlisten ein Fixstarter sein. Unsere Zukunft ist schon seit längerem die Nostalgie. (Christian Schachinger, 28.5.2015)