Viele Sozialleistungen, etwa in der Behindertenbetreuung, sind laut Trägerorganisationen durch Einsparungen gefährdet.

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Wien – Von der Wärmestube für Obdachlose über Frauenhäuser, Kriseninterventionszentren und Behinderteneinrichtungen bis zum Sommercamp für Asthmakinder: Leistungen wie diese sind laut den großen Trägerorganisationen im Sozialbereich finanziell gefährdet. Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe warnten vergangene Woche in einer gemeinsamen Aussendung vor Streichungen im Sozialbereich. Dieser wird zumindest zum Teil aus öffentlichen Mitteln gefördert, die nicht vertraglich fixiert sind, sondern unter die sogenannten Ermessensausgaben fallen. Und die geraten durch die Gegenfinanzierung

der Steuerreform unter Druck. Die Regierung hat dazu unter anderem das Einfrieren von Förderungen angekündigt. Allein 200 Millionen Euro müssen die Ministerien kürzen, nach einem Verteilungsschlüssel auf die Ressorts heruntergebrochen.

Ermessen ohne Spielraum

Barbara Bittner, Leiterin des Sozialinstitus der FH Campus Wien, erklärt, warum das nächstjährige Budget, das im Oktober beschlossen werden soll, für viele Sozialeinrichtungen zum Problem werden könnte: "Über die Ermessensausgaben werden viele Subventionen für zeitlich beschränkte Leistungsverträge ausgezahlt. Die Gehälter im öffentlichen Dienst müssen regelmäßig angepasst werden, deshalb wird eben bei den Förderungen gekürzt."

Auch wenn für bestimmte Leistungen der Bund zuständig ist, sind die meisten Sozialförderungen Landesangelegenheit. Die Länder halten sich noch bedeckt, wie sie ihren Anteil an den Einsparungen - rund 230 Millionen Euro jährlich - bewältigen wollen. In einem Jahr mit vier Landtags- und mehreren Gemeinderatswahlen sind mögliche Sparpakete kein Thema, über das man gern spricht.

Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie, befürchtet, dass die Rasenmähermethode zur Anwendung kommt: "Davon betroffen sind besonders die kleinen Organisationen, die haben weniger Spielraum. Und jene Projekte, deren Klientel wenig gesellschaftliche Akzeptanz zukommt, etwa im Integrationsbereich oder bei Wohnungslosen."

Fehlende Planbarkeit

Ein Rundruf des STANDARD bei verschiedenen Sozialorganisationen zeigt, dass besonders die Kurzfristigkeit der Förderzusagen für viele Leistungserbringer ein großes Problem darstellt. Bei Kolping Österreich berichtet man etwa, dass die Einsparungen bei Familien- und Drogenberatungsstellen für Jugendliche spürbar sind. Hierbei handle es sich zwar um vertraglich gesicherte Projekte, jedoch erfolgen die Förderzusagen immer nur für ein Jahr, wobei es zu gewaltigen Schwankungen kommen könne. So seien die Mittel für die Drogenberatungsstelle von 2013 auf 2014 um rund ein Viertel zurückgegangen.

Was alle befragten Organisationen beklagen: Fällige Valorisierungen werden nicht vorgenommen. Weil aber Personalkosten und sonstige Ausgaben stetig angepasst werden müssen, sei mit Einschränkungen des Angebots zu rechnen, so der Tenor.

Eine jener Stellen, die sich nicht auf Landes-, sondern auf Bundesmittel stützt, ist die Österreichische Plattform für Alleinerziehende. "Rund 65 Prozent unseres Budgets stammen aus Ermessensausgaben des Bundes. Wir müssen diese jedes Jahr neu beantragen. Rechtssicherheit gibt es dafür nicht, mehrjährige Verträge auch nicht", sagt Leiterin Doris Pettighofer. Dass es heuer um zehn Prozent weniger Geld als im Vorjahr gibt, wisse man erst seit April. Außerdem binde die Antragsstellung viele Ressourcen, die in der inhaltlichen Arbeit fehlen.

Bürokratischer Mehraufwand

Überhaupt ist die Bürokratie ein großer Streitpunkt. Wirtschaftsforscher und der Rechnungshof drängen auf eine stärkere Evaluierung von Förderungen. Ganz anders sieht das Schenk. Besonders für kleinere Organisationen sei der administrative Aufwand schwierig zu bewältigen. Dennoch habe auch die Projektförderung ihre Daseinsberechtigung: "Ermessensausgaben machen Innovationen in der Sozialpolitik oft erst möglich." Ihr habe man zahlreiche heute selbstverständliche Dienstleistungen zu verdanken, etwa die mobile Pflege oder neue Wohnformen im Hospizwesen.

Max Preglau, Soziologe an der Universität Innsbruck, sieht ein grundsätzliches Problem in der Ökonomisierung von Sozialleistungen. "Kostenbewusstsein muss sein, aber wenn die ökonomischen Kriterien zu stark überwiegen, kommt es zu einem Qualitätseinbruch. Das spüren dann die Sozialarbeiter vor Ort."

Ein anderes Problem sieht Preglau in der Ausschreibungspraxis: "Immer öfter wird der Billigstbieter gewählt statt jener mit dem qualitativ besten Angebot." Zu häufig kämen Auftragnehmer zum Zug, die Mitarbeiter mit niedrigerem Qualifikationsgrad beschäftigen, weil diese billiger kommen. "Da gibt es einen richtigen Verdrängungseffekt, zum Beispiel im Bereich der Flüchtlingsberatung.

Auch Bittner teilt diese Diagnose: "In den letzten zehn, 15 Jahren gab es eine Tendenz zu Privatisierungen bei sozialen Einrichtungen, in allen Bundesländern." Das merke man auch bei den Einkommen der im Sozialbereich Beschäftigten. Und Schenk meint: "Die Projektfinanzierung führt zu einer Präkarisierung. Wir müssen weg von der 'Projektitis' und hin zu längerfristigen Verträgen." (Simon Moser, 26.5.2015)