Christina Hendricks und Eva Mendes in Ryan Goslings Regiedebüt "Lost River": Zeitkritik mischt sich darin zunehmend mit fantastischen Elementen, das Theater des Grauens erweist sich allerdings als etwas strapaziös und zu dick aufgetragen.


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Wien - Feuer, Wasser, Blut und Boden: In Ryan Goslings Debüt als Spielfilmregisseur geht es einigermaßen elementar zu. Der erfolgreiche Schauspieler (Drive) erzählt in Lost River von einer Kleinstadt in Michigan, irgendwo im Einzugsgebiet der sterbenden oder schon wieder neugeborenen Metropole Detroit, obwohl hier alles nach "Southern Gothic" riecht.

Die alleinerziehende Mutter Billy (Christina Hendricks nahm für die Rolle eine Auszeit von Mad Men) hat sich ein Darlehen zu absurden Bedingungen aufschwatzen lassen. Nun steht sie kurz davor, das Haus zu verlieren, in dem sie mit großem Sohn und Baby Franky lebt. Arbeitsplätze gibt es kaum in dieser Gegend, allenfalls das Showbusiness bietet einen Ausweg.

Transparenter Pastiksarg

Billys Bankier betreibt nebenbei noch eine Revue, in der blutige Tode gestorben werden. Cat (gespielt von Eva Mendes) fungiert als "Göttin des Gore", unter ihrer Aufsicht wird hier gehäutet und geschlitzt. Natürlich nur zum Schein. Aber es hat doch etwas von richtiger Folter, was hier auf Billy wartet, darunter auch die eine oder andere sexuelle Zumutung, wenn sie in einem transparenten, menschenförmigen Plastiksarg den Avancen ihres Arbeitgebers preisgegeben wird. Billy ist klaustrophobisch, und das aus guten Gründen.

Parallel macht sich ihr Sohn Bones, ein introvertierter Teenager, auf die Suche nach dem mythischen Untergrund dieses immer wieder ins Groteske tendierenden Sozialdramas. Der Untergrund liegt dort, wo der "verlorene Fluss", der einst hier floss, von einem Stausee überflutet wurde. Aus dem Morast unter dem schmutzigen Wasser muss etwas geborgen werden, während oben, in der pechschwarzen Nacht, die enteigneten Häuser brennen. Ein Mädchen namens Rat und ein Typ namens Bully haben es beide auf Bones abgesehen, das Mädchen aus naheliegenden Gründen (Einsamkeit der Adoleszenz), der Typ eher aus sadistischen Gründen (geboren aus dem Nihilismus der Langeweile).

Lost River, der 2014 in Cannes Premiere hatte und dort zuerst einmal höhnische Aufnahme fand, macht es mit seinen Ambitionen dem Publikum nicht leicht. Die Fülle der Anspielungen (darunter besonders prominent Charles Laughtons einzigartig unheimlicher Die Nacht des Jägers von 1955), die Verbindung zeitkritischer mit fantastischen Momenten, all das kann schnell zur Last werden für eine Erzählung, die so etwas wie einen alltäglichen Kern gut gebrauchten könnte.

Gosling hält sich damit nicht lange auf, die ersten zehn Minuten sind fast noch dokumentarisch, danach geht es in die Schlingpflanzen. Vor allem das Theater des Grauens, das hinter einem zähnefletschenden Portal liegt, das wie direkt aus der Pratergeisterbahn entwendet wirkt, erweist sich mehrfach als strapaziös und dient vor allem einer grellen Entlarvung billiger Tricks - als selbstreflexive Ironie ist das einfach dick aufgetragen und dann noch zweimal mit dem Blutmesser unterstrichen.

Naturmythologische Bahnen

Stärker hingegen ist Lost River dort, wo Gosling naturmythologischen Intuitionen folgt. David Lynch hat einmal in einer berühmten Szene einen Gartenzaun auf das ihm zugrunde liegende Erdreich hin untersucht, und Terrence Malick den Tree of Life im Tohuwabohu verwurzelt. Von diesen Motiven vor allem zeigt Gosling sich inspiriert, und weil er ein gutes Gefühl für Stimmungen, Rhythmus, Licht und Farben hat und weil Johnny Jewel zu den vielen Tauchgängen und Metamorphosen einen ausgesprochen suggestiven elektronischen Soundtrack gestaltete hat, könnte man Lost River als synkretistische Stilübung durchaus würdigen: ein Film, der sich mit elegantem Köpfler in die Ursuppe stürzt, aus der er hervorgegangen ist. (Bert Rebhandl, 27.5.2015)