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Laut Analyse sind übergewichtige Menschen vor allem impulsiver als Normalgewichtige. "Das heißt, sie können ihr Handeln schlechter an langfristigen Konsequenzen ausrichten", sagt die Psychologin Sabine Löber.

Foto: APA/GÜNTER R. ARTINGER

Bamberg – Eine deutsche Psychologin kommt zu dem Schluss, dass Übergewicht, Adipositas und "Essanfälle" mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängen. Das Ergebnis einer Analyse von 70 Studien: Während impulsive Persönlichkeitszüge Essstörungen eher begünstigen, wirken Gewissenhaftigkeit und Selbstkontrolle als Schutzfaktoren vor Essstörungen.

"Unser Wissen über den Zusammenhang von Persönlichkeit, Übergewicht und übermäßigem Essensgenuss hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert", sagt Sabine Löber vom Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Bamberg. "Wir können mittlerweile klar sagen, dass Menschen mit entsprechenden Essstörungen häufiger impulsiv und weniger selbstkontrolliert sind als Personen mit Normalgewicht", ergänzt die Forscherin.

70 Studien aus den vergangenen 30 Jahren

Die Wissenschaftlerin analysierte Studien, die zwischen 1993 und 2013 durchgeführt wurden und in denen jeweils der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Übergewicht beziehungsweise Adipositas (Fettleibigkeit) sowie "Binge-Eating Störung" (sogenannte "Essanfälle") geprüft wurde.

Den Untersuchungen lag in den meisten Fällen das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit zugrunde. Nach diesem Modell lässt sich die Persönlichkeit eines jeden Menschen auf diesen fünf Faktoren einordnen: Neurotizismus (dazu gehören Eigenschaften wie Ängstlichkeit, Impulsivität, Verletzlichkeit), Extraversion (Geselligkeit, Selbstsicherheit, Abenteuerlust), Gewissenhaftigkeit (Kompetenz, Pflichtbewusstsein, Ehrgeiz, Selbstkontrolle), Verträglichkeit (Vertrauen, Geradlinigkeit, Empfindsamkeit) und Offenheit (Fantasie, ästhetisches Empfinden, Ideen).

Impulsivität als Risikofaktor für "Essattacken"

Welche Persönlichkeitsfaktoren spielen eine Rolle bei Essstörungen und Übergewicht? Die Analyse zeigte: Übergewichtige Menschen sind vor allem impulsiver als Normalgewichtige. "Das heißt, sie können ihr Handeln schlechter an langfristigen Konsequenzen ausrichten", betont Löber.

Übergewichtige sind auch extravertierter und empfänglicher für Belohnungen als Normalgewichtige. Diese auch "Belohnungssensitivität" genannte Eigenschaft bezieht sich darauf, dass man zum Beispiel bei der Nahrungsmittelaufnahme besonderen Genuss empfindet. Impulsivität und Belohnungssensitivität scheinen zudem besonders bei Menschen ausgeprägt zu sein, die unter der Binge-Eating Störung leiden.

Gewissenhaftigkeit ist hingegen ein Schutzfaktor gegen Übergewicht. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Selbstkontrolle, das heißt die Fähigkeit, Belohnungen aufzuschieben und längerfristig zu planen. Verträglichkeit und Offenheit scheinen dagegen nicht mit Übergewicht zusammenzuhängen.

Das Henne-Ei-Prinzip

"Sind Menschen nun dicker, weil sie bestimmte Persönlichkeitsmerkmale aufweisen oder wird die Persönlichkeit durch das Körpergewicht beeinflusst?", war eine der zentralen Forschungsfragen der Analyse. "Beide Zusämmenhänge sind möglich, doch zeigen die bisherigen Langzeitstudien, dass Neurotizismus tatsächlich ein Risikofaktor und Gewissenhaftigkeit ein Schutzfaktor für späteres Übergewicht darstellt", sagt die Studienleiterin.

"Bei der Entstehung von Übergewicht können individuelle Merkmale eine wichtige Rolle spielen. Diese Aspekte sollten in der Therapie berücksichtigt werden. So wäre beispielsweise ein Selbstregulationstraining denkbar, in dessen Rahmen Strategien zum Umgang mit Impulsivität und Belohnungssensitivität geübt werden", so Löber. Dieser Ansatz sollte laut Ansicht der Forscherin zumindest als wichtige Ergänzung zu anderen Behandlungsformen der Adipositas berücksichtigt werden. (red, 26.5.2015)