Riad/Sanaa/Wien - Gegen Freitag hin hatten sich Gerüchte verdichtet, dass Saudi-Arabien den schiitischen Geistlichen und Regimekritiker Nimr Baqir al-Nimr hinrichten lassen könnte. Hätte noch im Herbst, als Nimr zum Tode verurteilt wurde, das kaum jemand für möglich gehalten - es wäre eine hochgradige Provokation der schiitischen Minderheit Saudi-Arabiens, mit dem Risiko schwerer Unruhen -, so hat sich das in den vergangenen Monaten geändert: Nach dem Tod von König Abdullah Ende Jänner ist die neue saudische Führung auf eine Politik eingeschwenkt, die die Konfrontation mit Teheran nicht nur nicht mehr scheut, sondern zu suchen scheint.

Nimr, der von seinen Anhängern und dem Iran als Ayatollah eingestuft wird, wurde nicht zum Richtplatz geschleppt, stattdessen sprengte sich in al-Qadih im Bezirk al-Qatif in einer schiitischen Moschee ein Selbstmordattentäter in die Luft. Die Totenanzahl wurde mit zwischen zwanzig und dreißig angegeben. Der letzte größere Angriff auf Schiiten fand vergangenen November statt, damals bemühte sich das Königshaus, die Schiiten, die im streng salafistischen Königreich als Muslime zweiter Klasse angesehen werden, ihrer Solidarität zu versichern.

Auch in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa gab es am Freitag einen Anschlag auf eine zaiditisch-schiitische Moschee - zu dieser Religionsgruppe gehören die Huthi-Rebellen, gegen die Saudi-Arabien, unterstützt von arabischen Alliierten, seit Ende März einen Luftkrieg führt. Die Huthis, die von Saudi-Arabien und den anderen arabischen Golfstaaten als Vorfrontorganisation für den iranischen Einfluss im Jemen gelten, hatten die Regierung von Abd Rabbo Mansur Hadi abgesetzt und vertrieben.

IS-Attentat in Sanaa

In Sanaa bekannte sich der "Islamische Staat", der seit Kriegsausbruch im Jemen neben der Al-Kaida Fuß zu fassen scheint, zum antischiitischen Anschlag. Das macht die gesamte komplexe Gemengelage deutlich: Der IS, der auch den Sturz des saudischen Königshauses als Ziel deklariert, hat im Jemen die gleichen Ziele wie die Saudis. Ähnlich ist es ja in Syrien: Dort wurde in Palmyra die Armee von Bashar al-Assad, auf dessen Sturz Saudi-Arabien, die Türkei und der Westen setzen, vom IS geschlagen.

Qatif, im ölreichen Nordosten Saudi-Arabiens gelegen, ist immer wieder Schauplatz schiitischer Unruhen: So war es 1979, nach der Islamischen Revolution im Iran, oder auch 2011 und 2012, nach Ausbruch des Arabischen Frühlings. Es hat zwar in den vergangenen Jahren Initiativen des Königshauses gegeben, mit den Schiiten - geschätzt auf bis zu 15 Prozent der Bevölkerung in Saudi-Arabien - einen Dialog zu führen. Das hat jedoch kaum Auswirkungen auf ultrakonservative wahhabitische Geistliche, die weiter gegen die Schiiten hetzen.

Nimr Baqir al-Nimr wurde, als er 2012 verhaftet wurde, verletzt: Das Bild des Geistlichen, der blutend auf einem Autorücksitz lag, empörte damals die Schiiten. Manche sehen ihn als Wiederkehr der historischen Figur Mohammed al-Nafs al-Zakiya ("Die reine Seele"). Dieser erhob sich 762 gegen den zweiten abbasidischen Kalifen Al-Mansur, den Gründer Bagdads. Mohammed nahm zwar kurzfristig Medina ein, kam aber später um. (Gudrun Harrer, 22.5.2015)