(Zwei Männer Mitte dreißig vor Biergläsern. Der erste blättert in einer Gratiszeitung.)

DER ERSTE (verärgert): Langsam geht mir dieser Song Contest auf die Nerven. Man findet die Fußballergebnisse nicht mehr vor lauter Conchita Wurst.

DER ZWEITE: Was regst du dich auf? Fußball macht nicht glücklich. Grad erst haben deutsche Psychologen festgestellt, dass Fußballergebnisse das Wohlbefinden von Zuschauern zwar kurzfristig steigen lassen, aber dass sich die Ergebnisse von Fußballspielen weniger intensiv auswirken, als gemeinhin vermutet wird.

DER ERSTE: Ist mir egal. Ich will wissen, wie Rapid gegen die Austria gespielt hat.

DER ZWEITE: Vier zu eins. Rapid war besser.

DER ERSTE (baff): Das sagst du, ein eingefleischter Violetter?

DER ZWEITE: Ja, das sage ich. Ich habe mich verändert, weißt du. Der Song Contest ... Conchita Wurst ... Dieses Klima der Toleranz, das er geschaffen hat ... Der Mann hat was drauf.

DER ERSTE: Also, mir geht sie auf die Nerven.

DER ZWEITE: Nein, er hat völlig recht. Es ist doch wirklich egal, was einer ist, Christ, Moslem, Atheist, schwul oder nicht schwul, Rapidler, Austrianer ...

DER ERSTE: Also, was mich betrifft: Grün-Weiß bis in den Tod.

DER ZWEITE: Gut so. Ich toleriere das. Mehr noch. Ich erkenne es an. Goethe sagt nämlich, Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zu Anerkennung führen. Conchita Wurst sagt das auch.

DER ERSTE (genervt): Nicht genug, dass sie einen an jeder Straßenecke anschaut, verfolgt sie mich jetzt bis ins Wirtshaus.

DER ZWEITE: Er ist einfach ein eindrucksvoller Mensch! G'scheit, tolerant, singen kann er auch. Er vermarktet sich halt, ist sein gutes Recht.

DER ERSTE: Und was, wenn sie eine Frau wär'?

(Ein Sekundenbruchteil Stille, dann:)

DER ZWEITE: Auch das würde ich tolerieren.

(Vorhang)

Material: "Fußball macht nur kurz glücklich" - der Standard, 13. 5. 2015

(Antonio Fian, 22.5.2015)