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Nicht nur Text: Für Saint-Exupéry waren, was den kleinen Prinzen betrifft, Wörter und die vom Autor gezeichneten und getuschten Bilder ein Ganzes. Die Anordnung im Druck un die Bildlegenden hat er genau überwacht. In heutigen Ausgaben werden die Zeichnungen oft zu lieblos wiedergegeben.

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Unerklärlich, dass wir am Leben sind: Antoine de Saint-Exupéry (1900- 1944). Undatiertes Foto.

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Asteroid B 612, 31. April 2015

Guten Tag!

Vogelfrei, das bin ich nun. Bei euch jedenfalls. Auf der ganzen Erde. Genau genommen, auf fast der ganzen. Mehr als siebzig Jahre ist es her, im Hochsommer 1944, dass mein Urheber - "Saint-Ex" darf ich ihn nennen - über dem Mittelmeer verschollen ist. Abrupt war das Ende seines letzten Aufklärungsfluges, dessen Umstände bis heute nicht gesichert sind: Vielleicht wurde er abgeschossen, von einem der euren, wie es Jahrzehnte später, mit nunmehr gebotener Reumut, ein im Krieg einst junger deutscher Jagdflieger behauptet hatte.

Vielleicht aber auch wurde mein Autor zum Opfer eines technischen Defekts seines Flugapparats. Wieder einmal. Wie schon damals, achteinhalb Jahre zuvor, als sein Flugzeug mit ihm und seinem Bordmechaniker über der libyschen Wüste niederging. Eine mehr als dramatische Bruchlandung war das, weitab aller Zivilisation. Kein Wasser, allenfalls Kaffee, ein halber Liter, der ihnen übrig blieb, und ein Viertelliter Wein. Das war zur Jahreswende 1935/1936. "Unerklärlich, dass wir am Leben sind", schrieb mein Urheber wenig später in seinem Essayband Terre des hommes - im Deutschen war der Erlebnisbericht bereits 1940 unter dem Titel Wind, Sand und Sterne berühmt geworden.

Noch in Le Petit Prince, wenn ihr euch erinnert, ist dann, nach einer pannenbedingten Notlandung in der Sahara, von einer "question de vie ou de mort" die Rede, von einer "Frage auf Leben und Tod", wie es so schön, so existenziell in eurer allerersten Übersetzung heißt, die fünf Jahre nach dem Krieg Grete und Josef Leitgeb für den Karl-Rauch-Verlag besorgten: denselben Verlag, bei dem auch die Bücher von Camus sowie Emmanuel Mouniers Einführung in den Existenzialismus erschienen waren.

Vermutlich hatte dort, in der Wüste, auch meine Geburtsstunde gelegen. Aber die ist heute nicht mehr entscheidend. Von Belang sind vielmehr die 70 Jahre, seit denen Saint-Ex gestorben ist. Sie haben zur Folge, dass seine Urheberrechte jetzt international erloschen sind. Da fühlen sich die Verlage und Übersetzer offenbar aufgerufen, sich über das einzigartige Zeugnis meiner Existenz herzumachen: über jenen Text, der zuerst 1943, als mein Autor im Exil in New York gelebt hatte, auf Französisch und in englischer Übersetzung erschienen war und der das Publikum in Frankreich erst drei Jahre später über seinen Pariser Stammverlag erobern konnte.

Seit April 1946 haben dort die Editions Gallimard knapp 200.000 Exemplare des Titels im Jahresdurchschnitt abgesetzt. Und lange noch bleiben die heimatlichen Exklusivrechte bestehen. Erst 2033 fällt die Bastion einer landesweiten Verlängerung des Autorenrechts meines Schöpfers, die ihm mit der Auszeichnung "mort pour la France" zuerkannt ist: Keine Frage, dass daher allein die Faksimile-Edition seines Manuskripts und die Pléiade-Ausgabe seines Gesamtwerks wohl noch für Jahrzehnte Maßstäbe setzen.

Verglichen damit, werde ich in euren deutschsprachigen Landen in vielen Stimmen feilgeboten. Der Karl-Rauch-Verlag, Rechteinhaber bis 2014, hat da großen Vorsprung. In verschiedenster Ausführung, in Klein- oder in Großformat, gelumbeckt oder fadengeheftet, im Falle seiner Goldenen Ausgabe sogar mit einem ausführlichen Anhang zu meiner Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, versuche ich weiterhin, mich hier in der altgedienten Übersetzung von 1950 zu behaupten.

Ein bisschen umständlich und ungelenk ist das bisweilen. Angesichts etwa unserer großen Angst vor dem Tod, als mein Erzähler mir endlich seine Befürchtung gestand, "on va mourir de soif", erscheinen mir die Leitgebs fast verständnis- oder teilnahmslos: Das Pronomen "on", dessen umgangssprachlicher Gebrauch in den alten Wörterbüchern nicht verzeichnet war, wollen sie partout nicht mit "wir" übersetzen. Aber habe ich's mit den neuen Fassungen in euren großen Verlagen besser getroffen?

Nehmen wir Hans Magnus Enzensberger im dtv, einen Autor, der seit seinem frühen Essay über die Sprache des Spiegel immer wieder ein subtiles Sprachgefühl bewies. Klischierte Rede will er vermeiden, Meistzitiertes stößt ihm auf. Allem voran die einprägsame Sentenz meines Freundes, des Wüstenfuchses, man sehe "nur mit dem Herzen gut" ("on ne voit bien qu' avec le coeur"). Nun schreibt Enzensberger: "Man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist."

Ob ihm der Sehsinn zuwider ist? Gleich im ersten Satz meines Erzählers, der vom Sehen eines großartigen Bildes im Alter von sechs Jahren berichtet, geht es Enzensberger um nichts Geringeres als um die Lektüre eines ganzen Buchs. In der Sprache Enzensbergers würden Kinder mit Stoffpuppen ihre Zeit nur "verschwenden"; Währungen müssen in die Gegenwart konvertiert werden - in der Nachbarschaft meines Asteroiden wird er wohl bald, Grimms Märchen zufolge, "Stern-Euros" ausfindig machen; und mein langsames Fallen in den Wüstensand ist ihm am Ende unseres Buches nur in der Technik der "Zeitlupe" vorstellbar.

Da trifft es sich gut, dass Ulrich Bossier, der jetzt für Reclam den Text von Saint-Ex übersetzte, sich früher schon einmal des "exemplarischen Sündenfalls" Enzensberger angenommen hatte (Wenn Literaten übersetzen, Peter-Lang-Verlag 2002). Übersetzende Literaten, so Bossier, würden die Mikrostrukturen des Urtextes ungeniert zum Aktionsfeld ihrer Autorenkompetenz machen.

Kein Wunder, dass Bossiers Der kleine Prinz von einer diametral entgegengesetzten Umlaufbahn kommt. Sein Deutsch bleibt nüchtern bis zum Versteifen (wenn etwa "hoch-" und "höchst" den französischen Superlativ beerben), vermeidet alles Saloppe, das Enzensberger in seinem forschen Streben nach Aktualitätsnähe unterkommt, und vor allem dessen unzählige Flüchtigkeiten.

Für den Fischer-Verlag geht der Schweizer Autor Peter Stamm ähnliche Wege. Beide, Stamm und Bossier, haben für ihre Fassungen die sprunghafte Logik und die Redundanzen von Saint-Ex übernommen. Sie verhehlen nicht, dass sich meine Welt im vorigen Jahrhundert entfaltete. Das macht sie so lesenswert und - auch für die Kinder unter euch - ebenso verständlich wie die romantische Welt eurer Märchen. Der ausdrückliche Hinweis auf das "von den Nazis besetzte Frankreich", wie ihn Stamm in seine Übersetzung einflicht, ist entbehrlich.

Zornig allerdings werde ich, wenn ich die Bilder eurer Bücher betrachte. So gesetzlich schutzlos wir auch sein mögen, so muss ich doch ein ästhetisches Recht für mich und meinen Schöpfer beanspruchen. Denn wenn eure Lektorate es zulassen, seitenverkehrt zu illustrieren und Bildunterschriften wegzulassen (Fischer-Verlag) oder gänzlich auf die zarten Farben zu verzichten, mit denen Saint-Ex eigens gearbeitet hatte, (die einfarbigen Reclam-Drucke) und wenn seine Zeichnungen in vielen eurer Ausgaben auf die Bildschirmgröße eurer Smartphones reduziert sind, dann habt ihr unser Anliegen nicht begriffen. Ich bin nicht nur Text. Nein, Saint-Ex hat von mir geschrieben und getuscht und gezeichnet, hat die Anordnung seiner Seiten im Druck und die Bildlegenden genau überwacht. Zwar mag es bereits vor ihm großartige Zeichner unter den französischen Schriftstellern gegeben haben, ich erinnere an Victor Hugo. Aber erst bei meinem Urheber sind Wörter und Bilder ein von vornherein Ganzes. Dies Gleichgewicht, Gewähr meiner Authentizität, dürft ihr nicht verletzen, mahnt, nicht wenig verstört,

der Kleine Prinz

(Hendrik Feindt, 25.5.2015)