Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte ist die Wüstenmetropole Palmyra bedroht. Auf halbem Weg zwischen Euphrat und Mittelmeer gelegen, war die von den Römern zerstörte Oasenstadt mitten in der syrischen Wüste ein wichtiger Zwischenstopp für die Karawanen der Seidenstraße nach Europa. Jetzt stehen die Kämpfer der Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) in der einstigen Pilgerstätte für Archäologen und Touristen.

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Blick über die Ruinen von Palmyra.

Die Ruinen der antiken Oase tragen die Züge einer römisch-griechischen Stadt mit Säulenallee, Thermen und Theater. Palmyra lag zwischen den großen verfeindeten Reichen der Römer und der Parther, die geschickten Handelsdynastien der Stadt machten auch in Kriegszeiten Geschäfte mit beiden.

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Das Theater aus dem zweiten Jahrhundert in Palmyra.

Der Handel war einträglich, der Reichtum der Stadt äußerte sich in der ausgedehnten Bautätigkeit ihrer Einwohner. Im goldenen Zeitalter der Metropole ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus wurde ein neues Stadtzentrum errichtet. Architektonisch passte man sich dem Zeitgeist mit griechisch-römischem Baustil an – orientalische Verzierungen inklusive. Die griechisch-römische Kultur traf in Palmyra nicht nur architektonisch auf die vorderasiatische.

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Doch die Stadt galt schon lange davor als wichtiger Umschlagplatz für Waren aller Art. Neben den römischen Ruinen wurden auch Ruinen einer sehr viel älteren, hellenistischen Stadt gefunden. Dort wurden unter anderem Weinamphoren aus Rhodos gefunden, die bis nach Indien gehandelt wurden. Bereits im ersten Jahrtausend vor Christus wurde ein Tempel für den Gott Bel (Baal) errichtet, der rund tausend Jahre später ausgebaut und zu einem der wichtigsten religiösen Bauwerke im Vorderen Orient wurde.

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Der Baal-Tempel wurde im ersten Jahrhundert v. Chr. im griechisch-römischen Stil ausgebaut, war aber schon davor ein wichtiges religiöses Bauwerk im Vorderen Orient.

Selbst als Syrien 64 v. Chr. zur römischen Kolonie wurde, erhielten sich die Einwohner der Stadt eine große Unabhängigkeit. Der Reichtum aus Handel bedeutete zunehmend auch militärische Macht für Palmyra. Als die Parther den römischen Kaiser Valerian im 3. Jhdt. n. Chr. schlugen, standen die Palmyrener den Römern bei. Der neue Kaiser Aurelian ernannte den palmyrenischen Herrscher Odaenathus zum Statthalter des gesamten Orients. Als dieser starb, übernahm seine Frau Zenobia, deren Schönheit legendär gewesen sein soll, die Herrschaft. Doch die wachsende Unabhängigkeit und das Machtstreben der Wüstenmetropole waren den Römern zunehmend ein Dorn im Auge.

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Als Zenobias Truppen 269 n. Chr. Ägypten, die Kornkammer Roms, eroberten, war das Maß voll. Die Römer belagerten, eroberten und besetzten die Stadt, ließen aber Gnade walten und verschonten Palmyra zunächst. Zenobia wollte fliehen, wurde aber gefangen genommen. Doch kaum waren die Römer abgezogen, erhoben sich die Bewohner Palmyras erneut, massakrierten die römischen Besatzer und erklärten sich für unabhängig. Danach gab es keine Gnade mehr: Palmyra wurde im dritten Jahrhundert von den Römern zerstört. Nur wenige Gebäude blieben stehen, die Stadt sollte nie mehr die alte Pracht erreichen.

Die einst bedeutende Oase war von da an nur noch ein römischer Militärstützpunkt. Später zogen die Handelsströme fast gänzlich an der Stadt vorbei. Unter den Osmanen, die im 13. Jahrhundert eine Festung über der antiken Ruinenstadt errichteten, war Palmyra nur mehr ein unbedeutendes Dorf. Der größte Teil von Palmyra liegt bis heute begraben.

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Die Festung aus dem 13. Jahrhundert sollte zum Schutz vor Kreuzfahrern dienen, erlangte aber keine große militärische Bedeutung mehr.
Blick von der Zitadelle auf Palmyra

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Nun sind die Kämpfer des "Islamischer Staats" eingefallen. Die Oase und die angrenzende moderne Stadt (arabisch: Tadmur), die im 20. Jahrhundert errichtet wurde, sind strategisch wichtig: Von dort führen Straßen in den Westen nach Homs und in die Hauptstadt Damaskus. Auch ein Flughafen und ein Militärstützpunkt befinden sich dort.

Eine Zerstörung der archäologischen Stätten Palmyras wäre nach Einschätzung von Unesco-Chefin Irina Bokowa ein "enormer Verlust für die Menschheit". Berichte über erste Hinrichtungen in Palmyra wurden Donnerstagabend bekannt. Besonders gefährdet von Zerstörung ist wohl auch die Nekropole Palmyras, die Besuchern mit ihren Grabtürmen besonders ins Auge sticht. Die großen, reichen Handelsdynastien bauten ihren Familien dort hohe Türme mit Grabfächern für mehrere Generationen.

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Die Grabtürme Palmyras wurden bis ins zweite Jahrhundert hinein errichtet.

Diese sind durch den IS-Einmarsch besonders gefährdet, da sich in den Türmen bildliche Darstellungen befinden, die den Islamisten besonders verhasst sind.

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Prachtvoll verzierte Decken und Sarkophage sind von den IS-Extremisten besonders bedroht.

Für den deutschen Archäologen Andreas Schmidt-Colinet ist die Einnahme Palmyras so, "als stünde der IS in der Wiener Staatsoper". (Stefan Binder, 22.5.2015)