Der Skandal, so schreibt Karl Kraus, beginnt immer erst dann, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet. Ähnlich verhält es sich mit den zuletzt vieldiskutierten robusten polizeilichen Amtshandlungen. Sie sind dank ubiquitärer Videoüberwachung und der Verbreitung der neuen sozialen Medien wie Youtube und Facebook öffentlich sichtbar. Ein Mobiltelefon mit Videokamera vor Ort genügt, und schon gilt: "The whole world's watching!"

Eine bisher geübte Praxis ist plötzlich publik geworden, damit gerät auch die Polizei unter Begründungsdruck. Der Einsatz von Gewalt gehört zum polizeilichen Alltag. Manchmal ist er überschießend, manchmal Mittel der Wahl, oft Ausdruck von Hilflosigkeit und mangelndem Können. Und es gilt auch hier: kein Schaden ohne Nutzen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich allumfassende Videoüberwachung auch gegen diejenigen wendet, die sie immer gefordert haben.

Vielleicht kommt das Innenministerium mit dem Vorschlag, das Filmen polizeilicher Amtshandlungen zu verbieten - zuzutrauen wäre das den dortigen Juristen. Vielleicht aber stärkt die unerwartete großflächige Veröffentlichung jenen Kräften in der Polizei den Rücken, die sich für eine moderne, bürgernahe, menschenrechtskonforme Sicherheitsarbeit einsetzen. Diese Kräfte gibt es; man sollte nicht vergessen, dass die Polizei kein monolithischer Block rechtslastiger Schlägertypen ist.

Die Gründe für polizeiliches Fehlverhalten sind bekannt: mangelnde Ausbildung, Überforderung, männerbündlerisches Selbstmissverständnis, mangelnde Fehlerkultur. Die eigentliche Aufgabe besteht jetzt darin, die Polizei an die öffentliche Kandare zu nehmen und den nach wie vor - gerade hierzulande - herrschenden Korpsgeist aufzubrechen.

Öffentliche Kritik an Polizeigewalt ist notwendig, doch sollte man darauf achten, dass sie an den richtigen Stellen ansetzt. Eine Pauschalverurteilung der Polizei als Prügelbande fördert eher den problematischen inneren Zusammenhalt, statt jene zu unterstützen, die für eine Polizei als den gesellschaftlichen Frieden sichernde Menschenrechtsorganisation eintreten. Das Sichtbarwerden polizeilicher Gewalt ist eine Chance, die sich die Zivilgesellschaft nicht entgehen lassen sollte. (Reinhard Kreissl, 21.5.2015)