Seit 1980 ist der Aufstieg Chinas die Konstante in der Weltpolitik. Aber man muss hier genau zwischen Chinas wirtschaftlicher und militärischer Rolle unterscheiden.

Präsident Xi Jinping wird Amerikas militärische Dominanz in absehbarer Zeit nicht infrage stellen. Außerhalb von Ostasien ist ihm die Übermacht der USA recht, weil sie das Risiko globaler Konflikte eindämmt, die Chinas Wirtschaft gefährden könnte. Moskau neigt zu Muskelspielen, aber Peking baut seine Stärke lieber auf der Grundlage einer immer dynamischeren Wirtschaft aus.

Sogar in Asien sieht Xi, dass zu viel chinesisches Selbstbewusstsein die Nachbarn wie Indien zu engeren Beziehungen mit den USA verleitet. Auch mit Japan, immer noch die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, will China unnötige Handelskonflikte in einer Zeit vermeiden, in dem sich das eigene Wirtschaftswachstum durch Reformen abschwächt. China wird zwar Streit mit kleineren Nachbarn suchen, die keine US-Verbündeten sind, wie etwa Vietnam. Es wird seine Cybertechnologie weiterentwickeln, weil dies auch den chinesischen Unternehmen nützt. Es wird hart gegenüber Taiwan auftreten, aber das zählt in Peking als Innenpolitik. Kurz gefasst: China wird nirgendwo vorsätzlich eine sicherheitspolitische Krise provizieren, die in einer heiklen ökonomischen Phase den eigenen Geschäftsinteressen schaden kann.

Anders steht es um Chinas Wirtschaftseinfluss. Peking hat einen Frontalangriff auf die von den USA geführte Weltwirtschaftsordnung gestartet, indem es neue Institutionen und Alternativen zu US-Technologien und Standards bietet. Kein anderes Land nutzt eine vom Staat gelenkte Wirtschafts besser, um seinen Einfluss auszuweiten,

Vor 70 Jahren haben die USA viele Milliarden Dollar - vier Prozent des BIP - für den Wiederaufbau Europas investiert. Der Marshallplan war kein Akt des Altruismus, sondern eine Strategie, um Amerikas wichtigsten Handelspartnern auf die Beine zu helfen und eine US-geführte Weltordnung zu schaffen, die den Westen vor dem Kommunismus schützen soll. Institutionen wie der Währungsfonds und die Weltbank gehörten dazu.

Nach den langen und teuren Kriegen im Irak und in Afghanistan wollen die USA ihr Geld zu Hause ausgeben und keine weltpolitische Kampagnen dieser Art mehr finanzieren. Stattdessen setzt die Regierung Obama auf die Finanzwaffe - Zugang zu Kapitalmärkten und Wirtschaftssanktionen, um politische Ziele ohne die teure Entsendung von Truppen zu erreichen. Aber das stärkt den Einfluss der USA nicht, sondern belastet die Beziehungen mit Verbündeten, deren Unternehmen, Banken und Investoren ins Kreuzfeuer geraten.

Auch auf China warten zu Hause große Ausgaben: das weltgrößte Sozialsystem, eine moderne Infrastruktur, neue Arbeitsplätze, und die Sanierung der vergifteten Luft und Gewässer. Aber Staatsausgaben werden in China nicht demokratisch kontrolliert - ja nicht einmal wahrgenommen. Xi ist überzeugt, dass er die Rivalitäten in der Partei im Griff hat und seine Reformen populär sind. China kann seine gewaltigen Währungsreserven mit geringem politischen Widerstand einsetzen.

Was das für den "Washington-Konsens" bedeutet, ist klar: Anders als die USA nach 1945 investiert China nicht in die Ausweitung von Demokratie und Marktwirtschaft. Es handelt seine Deals stets mit einzelnen Regierungen zum eigenen Nutzen aus. Dabei geht es nicht mehr nur um den Zugang zu Rohstoffen und Marktchancen für chinesische Firmen. Das Hauptziel ist, so viele Regierungen wie möglich in Chinas Industriepolitik in strategischen Branchen wie Telekom, Internetstandards und Finanzen einzubinden und die globale Nutzung seiner Währung zu vergrößern.

Eine Bank als Wendepunkt

Pekings erfolgreiches Werben um US-Verbündete wie Großbritannien für die Asiatische Infrastruktur- und Investitionsbank (AIIB) ist ein Wendepunkt in seiner globalen Rolle. Die Einbindung westlicher Staaten sorgt dafür, dass China dort nicht alles allein entscheiden kann. Aber es macht deutlich, dass China zum ersten Kreditgeber für immer mehr bedürftige Regierungen wird. Diese Legitimität stärkt seine anderen Pläne zur Ausweitung des Einflusses zwischen Asien und Europa - wie etwa die neue Seidenstraße.

In Washington waren viele lange überzeugt, dass China so wie der Westen werden oder wie die Sowjetunion untergehen wird. Dieser Glaube erschien noch nie so kurzsichtig wie heute. Viel wahrscheinlicher ist eine weltweite Rivalität zwischen den USA und China, die jedes Land zu schwierigen Entscheidungen zwingt. (Ian Bremmer, 20.5.2015)