Geht es nach dem Medienrummel, ist "The Witcher 3: Wild Hunt" mit Abstand der bislang meist beachtete Videospielstart dieses Jahres. Der 19. Mai stellt den Höhepunkt einer über weite Strecken sehr erfolgreiche Marketingkampagne des polnischen Herstellers CD Project Red (CDPR) dar, der von seinen Fans als so etwas wie einer von "den Guten" angesehen wird. Immer wieder werden Vergleiche zum US-Studio Valve ("Half-Life", Steam) gezogen und tatsächlich gibt es Parallelen: Wie Valve produziert CDPR seine Games unabhängig von großen Publishern und betreibt mit GoG.com ebenfalls eine PC-Spiele-Plattform.

In den letzten paar Wochen zum Release des Finales der geschätzten Rollenspielserie hat dieses Good-Guys-Image jedoch etwas an Strahlkraft verloren. Hervorragender Rezensionen zu "The Witcher 3" zum Trotz, skandieren Fans in Foren und auf sozialen Medien, von falschen Versprechen hinters Licht geführt worden zu sein. "The Witcher 3" sehe heute nicht so aus, wie es die Trailer bis dahin zeigten. Speziell von einem Grafik-Downgrade der PC-Version ist die Rede, der als Kniefall vor den Konsolenherstellern gesehen wird, die, so die Verschwörungstheorien, CDPR bezahlt hätten, um den Unterschied zu den PlayStation-4- und Xbox-One-Ausgaben nicht zu groß ausfallen zu lassen. Und wenngleich die Entwickler derartige Anschuldigungen aufs Schärfste zurückweisen und Tester unter vielen Aspekten auch die hübsche Grafik hervorheben, ist doch erstaunlich, wie der über Jahre sehr positiv getragener Hype um die Rollenspiel-Hoffnung für eine stimmkräftige Kernanhängerschaft schlussendlich noch ins Negative abkehren konnte.

The Witcher
Bild: The Witcher 3

Alles für die Kommerzialisierung?

Der grundlegende Vorwurf hinter all der Kritik: CDPR habe sich der Kommerzialisierung hingegeben. Ausgerechnet jener Hersteller, der sich jahrelang öffentlich gegen kundenunfreundliche Trends wie kostenpflichtige Download-Inhalte (DLC) und Season-Pass-Geschäftsmodelle sowie Kopierschutzmaßnahmen ausgesprochen hatte, wird zum Start seines bisher größten Projekts selbst ein wenig schwach. Einen richtigen Kopierschutz gibt es nicht, aber wer am PC Updates erhalten möchte, muss sein Game dennoch online aktivieren. Und selbst wenn das Wort Season-Pass nicht verwendet wird, bietet man schon vor dem Erscheinungstag die ersten beiden kommenden kostenpflichtigen Erweiterungen im Paket zum Verkauf an.

Empört zeigten sich Fans erst dann, als die Berichte zu angeblichen Grafik-Downgrades aufkamen, die Gameplay-Szenen von vorangegangenen Messen und Events mit der finalen Version verglichen. Weniger Effekte und eine Abkehr von ursprünglichen, düstereren Stil wurden ausgemacht und als Beweis dafür angesehen, dass CDPR seine treue PC-Kernspielerschaft für die Erschließung der breiten Masse, die auch gerne auf Konsolen spielt, vernachlässigt.

Vorwürfe von Vorbestelleren

Insbesondere einige der mehr als eine Million Vorbesteller zeigten sich über die wenig schmeichelnden Vergleiche nicht erfreut. "CDPR leckt die Schuhe der Großkonzerne. Sony und MS haben wahrscheinlich gezahlt, damit das Spiel auf ihren Konsolen nicht merklich schlechter aussieht als auf dem PC", schreibt GameStandard-Leser yolomitswag. "Eine PS4 oder XBO hat nur eine Low-End Grafikkarte. Zwischen ultra auf dem PC und den Konsolenversionen besteht kaum ein Unterschied. Was ist da los? Dass ihr Spiel nie so aussehen wird wie bei der E3 im Sommer gezeigt, muss denen schon bei dem Event klar gewesen sein. Trotzdem hat man es uns vorgesetzt. Das Spiel mag zwar trotzdem gut sein, aber ich mag es nicht, angelogen zu werden. 'We are rebels' können die sich von mir aus in den Allerwertesten stecken, von mir gibt es keine Vorbestellung mehr."

"2013 kannte man die Hardware-Leistung der Next-Gen-Konsolen noch nicht. CD Project konnte die Rahmenbedingungen nur abschätzen und war dabei etwas optimistisch, beziehungsweise haben sich die Next-Gen-Konsolen als unerwartet leistungsschwach erwiesen (vor allem die Xbone). Das ist nachvollziehbar; das kann man verstehen", schreibt User Rarehero, wirft CDPR dennoch Unaufrichtigkeit vor: "Aber warum war man nicht offen zu den Spielern und Journalisten? Warum hat man nicht von Anfang an gesagt, dass das endgültige Spiel aufgrund der unerwartet schwachen Hardwareentwicklung nicht so aussehen wird wie in den ersten Trailern? Das wäre doch kein Beinbruch gewesen. Klar, das wäre eine schlechte Nachricht gewesen, die man aber bis zum Release zwei Jahre später vergessen hätte. Jetzt ist das Geschrei dafür umso größer."

Bild: The Witcher 3
Bild: The Witcher 3

Über den Kopf gewachsen

Es ist eine Debatte, die für die Hersteller komplett außer Kontrolle geraten zu sein scheint, wie auch CDPR-Sprecher Fabian Döhla im Interview mit "PC Games" anklingen lässt. "Wir haben sehr lang PC-Footage gezeigt, dann fing irgendwann der Druck an, dass es kein Konsolen-Footage gebe. Dann hieß es schnell, die Konsolenversion werde zurückgehalten, sehe schlecht aus oder existiere gar nicht. Die Konsolenversionen hingen natürlich zeitlich hinterher, weil wir später damit angefangen haben. Man ist in dieser Situation so oder so unglaubwürdig, egal ob man alles zeigt oder nichts. Man kann dabei eigentlich nur verlieren. Als dann die ersten Konsolenvideos kamen, die wirklich gut aussahen, kam die Downgrade-Debatte. Ich möchte in so einem Moment dann einfach nur rausgehen und schreien."

Dass vorangegangene Versionen anders ausgesehen haben, sei zudem der Weiterentwicklung des Spiels geschuldet. "Ein Beispiel: Wir haben im Laufe der Entwicklung das dynamische Wetter eingefügt. Plötzlich sehen die Szenen anders aus. Früher war alles eher dunkel, heute gibt es auch hellere Szenen", sagt Döhla. "Im Internet gibt es immer Leute, die das zerpflücken. Konsolenleute, die 'The Witcher 3' schon spielen können, finden die Grafik sehr gut – das sehen wir anhand des Feedbacks. Dann gibt es Leute, die meinen, der Riss in der Mauer sieht jetzt viel schlechter aus als früher. Kommt es wirklich auf so etwas an?"

Erstklassige Kritiken

Bei den Testern der Fachpresse hatten derartige Debatten um Grafikvergleiche unterdessen keinen sehr hohen Stellenwert. Sowohl europäische als auch amerikanische Magazine stellen "The Witcher 3" Höchstwertungen aus. Mit 92 von 100 Punkten rangiert das Rollenspiel unter den diesjährigen Top-Games des Rezensionsaggregators Metacritic.com.

Ob die negativen User-Stimmen zum Marktstart Auswirkungen auf den Erfolg des Spiels haben werden, bleibt abzuwarten. Fraglich ist, wie sehr Aspekte wie Grafik und DLC überhaupt Einfluss auf den kommerziellen Erfolg haben. Eine User-Umfrage des GameStandard ergab, dass "Grafik" für Spieler eine geringere Bedeutung hat als "Gameplay", "Story" und "Umfang". Die Aspekte "Transparente DLC-Politik" und "Ohne Kopierschutz" haben zumindest laut Umfrage noch eine weit geringere Bedeutung für Spieler. Für enttäuschte Vorbesteller ist es eine neuerliche Lehre, dass man Games immer erst basierend auf der fertigen Fassung einschätzen sollte. (Zsolt Wilhelm, 19.5.2015)

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