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Wenn Verkehrsteilnehmer mehr miteinander kommunizieren, könnte sich der Verkehr in Begegnungszonen irgendwann selbst organisieren.

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"Bei den Mittelalten, die voll im Stress von Beruf und Familie stehen, ist die Autoorientierung am stärksten", sagt Mobilitätsforscher Konrad Götz.

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STANDARD: Wie entscheiden wir, mit welchem Transportmittel wir zur Arbeit, Schule oder Uni gelangen sollen?

Götz: Wir entscheiden das meistens gar nicht bewusst, sondern haben es – ähnlich wie das Zähneputzen – automatisiert. Deshalb ist es schwierig, das Verkehrsverhalten zu ändern, weil diese Alltagsroutinen aufgebrochen werden müssen. Dennoch bilden sich langsam neue Mobilitätsstile heraus: Die Leute beginnen immer öfter, Verkehrsmittel zu kombinieren, also nicht nach einer festen Routine zu fahren, sondern sich ihre jeweilige Mobilitätskette – etwa aus Bahn, Fahrrad und Carsharing – zusammenzusetzen.

STANDARD: Wird das Auto je seinen Stellenwert als Fortbewegungsmittel Nummer eins verlieren?

Götz: Sie haben in Wien schon einen sehr hohen Anteil von mehr als 40 Prozent an Haushalten, die ohne Auto leben.

STANDARD: In fast 60 Prozent der Haushalte gibt es aber immer noch einen Pkw.

Götz: Ja, aber wenn man sich etwa in Deutschland anschaut, wie viele Leute für Carsharing offen sind, dann liegt man bei durchschnittlich circa 2,5 Prozent. Schaut man sich hingegen die jungen Leute an, sind es bereits doppelt so viele; in Ballungsräumen verdoppelt sich die Zahl noch einmal. Und plötzlich merkt man, es gibt einen Kern, in dem sich das Mobilitätsverhalten wirklich ändert. Immer häufiger sagen junge Leute: "Ein eigenes Auto ist eine Geldvernichtungsmaschine." Das ist aber noch ganz klar eine Minderheit.

STANDARD: Wie sieht es im ländlichen Raum aus?

Götz: Im ländlichen Raum sind Autoorientierung und Autonotwendigkeit viel stärker ausgeprägt. Dort muss man in Zukunft das selbstfahrende Auto mitdenken, das etwa an einem Bahnhof per Knopfdruck geordert werden kann. Das Auto kommt dann zu Ihnen gefahren. Sie steigen ein und entscheiden dann noch, ob Sie selbst fahren oder sich fahren lassen wollen.

STANDARD: Sieht so die Zukunft der Mobilität aus?

Götz: Das ist ein Bestandteil der künftigen Mobilität. Ich hoffe aber nicht, dass überall selbstfahrende Autos herumstehen, sondern dass sie sehr gut mit den Öffis vernetzt werden.

STANDARD: Wien wird bis 2030 auf zwei Millionen Einwohner anwachsen. Wie kann der Verkehr dann noch bewältigt werden?

Götz: Wenn der Verkehr wächst, muss man dafür sorgen, dass Massenverkehrsmittel bereitstehen. Ein attraktiver öffentlicher Verkehr muss nicht nur erhalten, sondern ausgebaut werden und zuverlässig funktionieren. Es geht auch um Mobilitätskultur. Wer neu in die Stadt kommt, ist eine bestimmte Mobilitätskultur gewohnt. Macht er die Erfahrung, dass der Verkehr hier verlässlich, schnell und sauber ist – was in der vorigen Stadt vielleicht nicht so war –, wird er sich an diese Angebote anpassen und dann auch eher das Auto stehen lassen.

STANDARD: Inwiefern kann Stadtplanung das Mobilitätsverhalten lenken?

Götz: Es gibt in unseren Städten einen sehr guten Trend zur Verbesserung von Aufenthaltsqualität. Man denkt plötzlich an die Radfahrer und Fußgänger, daran, dass auch Flanierende einkaufen und Geld bringen. Auch das Bedürfnis älterer Menschen, sich langsamer zu bewegen, wird ernst genommen. Und die Stadt muss Maßnahmen, die verlocken und verführen, mit Restriktionen verknüpfen (etwa Carsharing und Parkpickerl, Anm.). Nur auf Restriktionen zu setzen geht nicht, weil man dann ganz schnell Mehrheiten verliert. Man muss gleichzeitig viele sehr gute Alternativen anbieten.

STANDARD: Eingefleischte Autofahrer fühlen sich durch Veränderungen im Verkehrsbereich oftmals ihrer Freiheit beraubt.

Götz: Diese Gruppe wird kleiner. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eingefleischte Autofahrer, wenn sie einmal mit einem Elektro-Carsharing-Pkw fahren, der abgeht wie ein Düsenjäger, völlig begeistert sind und ihren eigenen Pkw verkaufen. Da ändert sich etwas, wenn auch noch in geringem Maße.

STANDARD: Sie haben die Bedürfnisse älterer Menschen angesprochen – unterscheiden sie sich von jenen der Jungen?

Götz: Bei den Mittelalten, die voll im Stress von Beruf und Familie stehen, ist die Autoorientierung am stärksten. Das hat auch damit zu tun, dass man glaubt, ein Auto haben zu müssen, um am Arbeitsmarkt fit zu sein. Bei den Jungen und Älteren bröckelt die Autofixierung. Und wenn Menschen ab einem gewissen Alter nicht mehr fähig sind, sicher ein Auto zu lenken, brauchen sie passende Alternativen. Ein guter öffentlicher Verkehr ist deshalb zentral.

STANDARD: Die Umgestaltung der Mariahilfer Straße zu einer Begegnungszone ist in Wien auf viel Ablehnung gestoßen. Woran liegt das?

Götz: Bei unserem Denken in Verkehrsschildern, Ampeln und Regulationen ist es völlig normal, wenn das Konzept Begegnungszone erst einmal auf Irritation stößt. In Wirklichkeit ist es sehr zukunftsweisend, weil man plötzlich wieder mit anderen Verkehrsteilnehmern kommuniziert. Man schaut sich gegenseitig an, wird aufmerksamer. Wo das gut organisiert ist, läuft es auch gut, und irgendwann können die Verkehrsschilder abgebaut werden, und der Verkehr organisiert sich selbst.

STANDARD: Warum lösen Verkehrsthemen so viel Emotion aus?

Götz: Wir wissen aus der Entwicklungspsychologie, dass Bewegung eng mit der Entwicklung des Individuums verbunden ist. Ein Kind äußert lautstark seine Begeisterung, fängt an, Lustschreie auszustoßen, wenn es beginnt, sich fortzubewegen, und autonom wird. Bewegung ist in unseren allerfrühesten Entwicklungsstufen schon emotional besetzt. Das ändert sich später nicht mehr grundlegend. (Christa Minkin, 20.5.2015)