Bild nicht mehr verfügbar.

Symbolische Wiedereinsetzung im Hôtel des Invalides in Paris im April 2015: Die Statue Napoleons I. stammt von Charles Émile Seurre.

Foto: Reuters/Platiau

Wien - Der letzte Akt war seines militärischen Genies unwürdig. Zur Junimitte 1815 führte Napoleon Bonaparte sein hastig aus dem Boden gestampftes Heer nach Belgien. Im März war der Kaiser aus seinem Exil auf Elba auf das französische Festland zurückgekehrt. Der gichtkranke Bourbone Ludwig XVIII. räumte überstürzt seinen Thron, die Alliierten stellten den Wiener Kongress ruhend. Zwei Armeen unter dem Briten Wellington und dem Preußen Blücher eilten dem Korsen in Gewaltmärschen entgegen.

Und dann Waterloo. Napoleon hatte die vergangenen zwei Jahrzehnte mit kurzen Unterbrechungen im Sattel verbracht. Der Mittvierziger war korpulent geworden. Bereits in den beiden Feldzügen, die auf das Russlanddesaster 1812 gefolgt waren, wurde der kleinwüchsige Feldherr immer häufiger von Niedergeschlagenheit heimgesucht. Historiker wie der Brite Munro Price, Autor der fantastischen Monografie Napoleon. Der Untergang, vermuten ein Hormonleiden als Ursache für die Schwächephasen des Usurpators.

Der kramte noch einmal in der alten Trickkiste. Napoleon (1769- 1821) war nicht nur auf dem Schlachtfeld das Genie der Mobilität. Die zahlenmäßige Überlegenheit seiner europäischen Gegner glich er durch Unverfrorenheit aus. Jetzt sollte das alte Rezept die Sache noch einmal zum Guten wenden. Den preußischen Haudegen Blücher wollte er möglichst rasch in den Staub werfen, um sich anschließend Wellingtons Hauptmacht vorknöpfen zu können. Zwischen Brüssel und Charleroi entfalteten die Franzosen fieberhafte Aktivitäten. Es sollte alles nichts mehr nützen.

Blücher wurde bei Ligny geschlagen. Der Preuße lag halbtot unter seinem Pferd begraben, überlebte aber und konnte seine Truppen zurückziehen, um sie für ein weiteres Treffen neu zu ordnen. Blücher wurde später in der Ära des heraufziehenden Nationalismus zur volkstümlichen Figur in Deutschland. In Wirklichkeit litt er als gefürchteter Draufgänger unter entsetzlichen Wahnvorstellungen. Wiederholt beklagte er, mit einem Elefanten schwanger zu gehen. Ein anderes Mal argwöhnte er sogar, von einem französischen Soldaten in andere Umstände gebracht worden zu sein.

Haudegen und Irrläufer

In einiger Entfernung zum Örtchen Waterloo hatte unterdessen Wellington Stellung bezogen. Sein Plan lautete, die Angriffe der Franzosen so lange abzuwehren, bis Blücher käme, um ihn zu entsetzen. Napoleon beging einen entscheidenden Fehler. Anstatt seine ganze Macht auf die Briten zu konzentrieren, sandte er ein Korps unter seinem Feldherrn Grouchy mit rund 50.000 Mann Blücher hinterher.

Das Korps bildete ein Drittel der französischen Macht. Der eher mittelbegabte Grouchy verlief sich in Belgiens fruchtbaren Ebenen heillos. Ohne Blücher je zu Gesicht bekommen zu haben, erreichte er auch das Schlachtfeld von Waterloo nicht mehr. Der Irrgänger zog unverrichteter Dinge nach Frankreich ab.

Napoleons Frontalangriff auf Wellingtons Stellungen mündete in ein Blutbad. Erprobte Haudegen wie der berühmte Marschall Ney warfen Sturmwelle auf Sturmwelle gegen die Karrees der Briten und Hannoveraner. Der Kaiser selbst blieb merkwürdig teilnahmslos. Wellingtons Linien hielten, gegen Abend erschienen pünktlich die preußischen Bundesgenossen auf dem Schlachtfeld. Die zweite kaiserliche "Amtszeit" Bonapartes neigte sich, kaum begonnen, schon wieder ihrem Ende zu. Sie sollte insgesamt ganze 100 Tage währen.

Retten können hätte Bonaparte seine Herrschaft zu einem bedeutend früheren Zeitpunkt. Wiederholt hatten die verbündeten Mächte Friedenssignale an ihn ausgesandt. Während der Kaiser seine Armee 1813 durch Deutschland marschieren ließ, bemühten sich Diplomaten wie Fürst Metternich in unterschiedlichen Intensitätsgraden um einen Verständigungsfrieden. Noch nach der Niederlage bei der Völkerschlacht von Leipzig wäre für Napoleon ein Friedensschluss möglich gewesen. Die Allianz unter Führung des Zaren drängte auf ein Frankreich innerhalb der Grenzen von 1792. Der Korse hingegen meinte, ein Verzicht auf die Gebietsgewinne danach würde ihn in letzter Konsequenz den Thron kosten.

Munro Price malt mit feinem Strich das Porträt eines Starrsinnigen. In tragischer Verkennung der "vox populi" hielt Bonaparte an der Waffengewalt fest, während sein Staatsvolk in Wahrheit nach Frieden lechzte. Die Glorifizierung der außerordentlichen historischen Gestalt war ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Bonaparte selbst beschloss seine Tage auf einem unwirtlichen Atlantik-Eiland namens St. Helena. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 16.5.2015)