In Österreich "sitzen" Delinquenten schneller als anderswo - das zeigt eine aktuelle Vergleichsstudie.

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Alois Birklbauer: "Es besteht die Gefahr, dass das Strafgesetz zur Symbolik verkommt."

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STANDARD: Geht die Strafrechtsreform in die richtige Richtung?

Birklbauer: Die Reform versucht einen Kompromiss, indem zum Teil beim Schutz des Vermögens nach unten, zum Teil bei den Leib-und-Leben-Delikten nach oben gegangen wird. Dahinter steht die These, dass Strafandrohungen etwas verändern in der Gesellschaft. Diese These ist leider nicht empirisch verifiziert. Daher kann man die Grundsatzfrage stellen, warum dann überhaupt Verschärfungen vorgenommen werden. Umso mehr, wenn man sich die voll belegten Gefängnisse ansieht.

STANDARD: Hohe Strafen führen also nicht zu weniger Kriminalität?

Birklbauer: Vor der Broda'schen Strafrechtsreform 1975 hatten wir ein Strafgesetzbuch mit sehr hohen Strafandrohungen, um die Werte der Gesellschaft zu betonen. Das hat in der Praxis dann dazu geführt, dass nur mit großzügigsten Auslegungen des Milderungsrechts überhaupt angemessene Strafen verhängt wurden. Es besteht die Gefahr, dass das Strafgesetz zur Symbolik verkommt. Wir haben momentan leider eine sehr starke Kriminalisierungswut, weil wir glauben, dadurch etwas verändern zu können. Wir wissen aber aus der empirischen Forschung, dass dauerhafte Verhaltensänderungen viel stärker durch informelle Normen geschehen.

STANDARD: Viel diskutiert wurde der sogenannte Po-Grapsch-Paragraf. Geht der für Sie auch zu weit?

Birklbauer: Ein typisches Beispiel. Man glaubt, Wertebewusstsein zu schaffen, indem man sexistische Handlungen für strafbar erklärt. Es geht konkret um Berührungen, die keine geschlechtliche Handlung sind, die aber Privat- und Intimsphäre verletzen. Das gehört in die Nähe der Beleidigung und ist jetzt schon strafbar, wenn mindestens drei Personen das wahrnehmen können. Es macht keinen Sinn, das weiter zu verschärfen, weil man bei fehlender Wahrnehmbarkeit das Problem der Nachweisbarkeit hat. Aber es ist halt ein Politikum.

STANDARD: Sie als SPÖ-Mitglied widersprechen hier den SPÖ-Frauen?

Birklbauer: Absolut. Da sind wir nicht d'accord. Ich finde es bedenklich, dass im Ruf nach Strafen und Einsperren die Linken und die Rechten Übereinstimmungen finden.

STANDARD: Bei häuslicher Gewalt soll Diversion, der Tatausgleich, fast nicht mehr möglich sein. Begrüßen Sie das?

Birklbauer: Gar nicht. Da finde ich Diversion grundvernünftig. Es ist der falsche Weg, hier eine gut funktionierende Maßnahme abzuschaffen und in einem niederschwelligeren Bereich das Strafrecht zu strapazieren.

STANDARD: In der Begutachtung wurde der Untreue-Paragraf aufgeweicht. Die Staatsanwälte protestierten. Was meinen Sie dazu?

Birklbauer: Die Reform des Untreue-Paragrafen ist eigentlich der Versuch, ihn auf das zurückzuführen, als was er gedacht war. Wenn unternehmerisches Risiko dazu führt, dass der Unternehmer bei einer Fehlentscheidung mit dem Strafrecht bedroht ist, dann ist das eine Fehlentwicklung. Nicht jede Fehlkalkulation ist automatisch Untreue. Da sind dann möglicherweise andere strafrechtliche Aspekte, vielleicht Betrug, von Relevanz. Vielleicht gibt es aber auch nur eine zivilrechtliche Verantwortung. Nun versucht man, Business Judgement Rules, die im deutschen Aktienrecht schon seit Jahrzehnten gelten, zum juristischen Maßstab zu machen - statt der "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes", unter der sich kein Mensch etwas vorstellen kann.

STANDARD: Einige Verurteilungen oder zumindest Anklagen in prominenten Fällen wären mit diesem Untreue-Paragrafen nicht möglich gewesen. Hat man hier einer Wirtschaftslobby nachgegeben?

Birklbauer: Die Expertengruppe konnte sich im Vorfeld nicht einigen, ob Änderungsbedarf besteht. Man fand, dass die Möglichkeit, die Rechtsprechung durch ein Gesetz zu beschränken, als nicht wirklich ideal anzusehen ist. Aber konkreter wurden die Experten nicht. Dass dann die Justizsprecher von SPÖ und ÖVP die Änderungen eingebracht haben, ist keine schöne Optik. Inhaltlich vernünftig ist es trotzdem.

STANDARD: Was ist mit der Erhöhung der Wertgrenzen?

Birklbauer: Da geht es um die klassischen Vermögensdelikte, wie Diebstahl, Betrug et cetera. Das halte ich für einen richtigen Schritt, die Strafdrohungen zu begrenzen. Wir wissen heute, dass eine halbjährige Freiheitsstrafe die gleiche Wirkung hat wie eine fünfjährige. Zudem haben wir im Vergleich zum Rest Europas hier sehr hohe Strafdrohungen. Warum also nicht hier ein wenig nachlassen - das heißt ja nicht, dass gar nicht mehr gestraft wird.

STANDARD: Warum findet sich die Reform des Maßnahmenvollzugs nicht in der Strafrechtsreform?

Birklbauer: Offenbar hat man, um die Symbolik des 40. Jahrestags des modernen Strafrechts nicht zu gefährden, einige heikle Bereiche nicht angerührt. Das ist ein ganz großes Manko dieser Reform.

STANDARD: Auch hier tagte eine Arbeitsgruppe, wie sehen Sie deren Ergebnisse?

Birklbauer: Dass hier versucht wird, die Anlasstaten zurückzudrängen, damit gar nicht mehr so viele Menschen in den Maßnahmenvollzug kommen, halte ich für gut. Und dass man begründen muss, warum jemand ab einer bestimmten Dauer weiterhin in der "Maßnahme" bleiben soll. Die Anregung, eine Schnittstelle mit dem Gesundheitssystem zu finden, ist überfällig. Denn wir sprechen hier von kranken Menschen.

STANDARD: Sitzt man in Österreich zu lange im Gefängnis?

Birklbauer: Ja.

STANDARD: Kommt man zu schnell hinein?

Birklbauer: Ja, auch das.

(Petra Stuiber, 15.5.2015)