Bagdad/Damaskus - Nach eintägiger Offensive hat die jihadistische Organisation "Islamischer Staat" (IS) am Freitag den Regierungssitz in der umkämpften westirakischen Stadt Ramadi erobert. Nach Angaben eines Polizeioffiziers übernahmen die IS-Kämpfer die Kontrolle über das Regierungsgebäude und hissten dort ihre schwarze Flagge.

In Syrien verstärkte die Armee wegen des IS-Vormarschs auf Palmyra (Tadmor) ihre Präsenz in der weltberühmten antiken Stadt. Die Kulturorganisation der Vereinten Nationen (UNESCO) warnte davor, dass der historischen Stätte die Zerstörung drohe.

Ramadi großteils eingenommen

Im westirakischen Ramadi hätten die Extremisten mehrere Regierungsgebäude eingenommen, darunter die Provinzverwaltung und die lokale Polizeizentrale, hieß es am Freitag aus Sicherheitskreisen in der Stadt. Die Jihadisten beherrschen demnach nun rund 90 Prozent der Stadt. Weiter hieß es, der IS-Vormarsch sei möglich gewesen, nachdem sich die Armee plötzlich zurückgezogen habe. Zudem hätten die sunnitischen Extremisten rund 60 gefangene Zivilisten getötet, darunter Frauen und Kinder.

Auch die IS-Kämpfer selbst verkündeten in einer Mitteilung die Eroberung des Regierungssitzes in Ramadi. Zudem erklärte die Gruppe, sie habe "benachbarte Gebäude" der Regierung und der Polizei "in die Luft gejagt". Die Offensive auf die Stadt hatten die IS-Jihadisten am Donnerstag begonnen. Auch ein Stammesführer bestätigte die Angaben zu der Eroberung.

Die Hauptstadt der Provinz Al-Anbar rund 110 Kilometer westlich von Bagdad ist seit Monaten zwischen den IS-Anhängern und Regierungskräften umkämpft. Die Regierung geht seit Monaten gegen die IS-Jihadisten vor, die im Juni vergangenen Jahres nördlich und westlich von Bagdad eine Offensive gestartet hatte. Der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Bagdad und den sunnitischen Aufständischen trieb nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) inzwischen fast drei Millionen Menschen in die Flucht.

Syrische Armee schickt Verstärkung

Die Jihadisten hatten im Sommer vergangenen Jahres große Gebiete im Nordirak und in Syrien überrannt. In beiden Ländern werden sie am Boden von einheimischen Einheiten und aus der Luft von einer internationalen Militärallianz unter Führung der USA bekämpft. Aus dem Irak hieß es seitens der Behörden und der Jihadisten, die Extremisten hätten auch an anderen Orten in der Provinz Anbar Boden gut gemacht.

In Syrien entsandte die Armee Soldaten zur Verstärkung nach Palmyra. Die syrische Armee fliege Luftangriffe gegen die Extremisten, die nur noch einen Kilometer von der Oasenstadt in der zentralen Provinz Homs entfernt stünden, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Freitag mit. Der Provinzgouverneur Talal Barasi bestätigte die Angaben und versicherte, die Lage in Palmyra sei "unter Kontrolle".

Bei ihrem Vorstoß auf Palmyra hatten die Jihadisten nach Angaben der Beobachtungsstelle, deren Erkenntnisse aus einem Informantennetzwerk vor Ort stammen und unabhängig kaum überprüfbar sind, 26 Bewohner umliegender Dörfer hingerichtet, darunter zehn durch Enthauptung. Seit Donnerstag sollen darüber hinaus bei Kämpfen 73 Soldaten und 65 IS-Kämpfer getötet worden sein.

Mit Blick auf die vorrückenden IS-Truppen hat die UNESCO vor Übergriffen auf die historische Oasenstadt Palmyra gewarnt. Eine Zerstörung des Weltkulturerbes müsse verhindert werden, hieß es am Freitag in einem Tweet der Kulturorganisation der Vereinten Nationen in Paris. UNESCO-Chefin Irina Bokowa wies darauf hin, der "unersetzliche Schatz" habe bereits in den vergangenen Jahren unter Übergriffen und Plünderungen gelitten. Sie forderte die Einstellung der Kämpfe und appellierte an alle Konfliktparteien, Palmyra zu schützen und alles zu tun, um eine Zerstörung zu verhindern.

Die Sorge um das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Palmyra ist wegen der von den IS-Anhängern in anderen antiken Stätten wie Nimrud und Hatra angerichteten Zerstörungen groß. Gut einen Monat nach der Nachricht von der Zerstörung der nordirakischen Ruinenstadt Nimrud zeigten die Extremisten Mitte April in einem Video das Ausmaß der Verwüstung in der Ausgrabungsstätte aus dem 13. Jahrhundert vor Christus.

Das Video lässt erahnen, dass von der Stätte am Ufer des Tigris, rund 30 Kilometer südöstlich von Mossul, kaum noch etwas erhalten sein dürfte. Nimrud war einer der berühmtesten archäologischen Fundorte im Zweistromland, das wiederum oft als Wiege der Kultur beschrieben wird. Der Leiter von Syriens Altertümerverwaltung, Maamun Abdulkarim, forderte nun, die Weltgemeinschaft müsse zum Schutz von Palmyra "mobil machen".

Der Libanon fordert von der internationalen Gemeinschaft mehr Hilfe für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Außenminister Gebran Bassil kritisierte am Freitag bei einem Besuch seines deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier in Beirut, dass viele Zusagen nicht eingehalten worden seien. "Selbst wenn alle Länder ihren Verpflichtungen nachgekommen wären, würde die Hilfe nicht ausreichen." Der Libanon hat nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren etwa 1,5 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Das entspricht etwa einem Drittel der Einwohnerzahl von insgesamt rund vier Millionen Menschen. (APA, 15.5.2015)